Durch Zufall bin ich über den schon etwas älteren (Sommer 2006) Artikel Vinyl will Survive von Peter Chambers auf RA gestolpert, der sich mit der Gretchenfrage des DJing befasst – Vinyl oder Digital? Abgesehen davon dass der Autor Vinyl nicht vom Aussterben bedroht sieht und selbst überzeugter Vinylkäufer ist, wird ein Punkt angesprochen, über den ich mir selbst die Tage Gedanken gemacht habe, und den ich, als jemand der mit mp3s auflegt, einfach nicht abstreiten kann:
Crucially, choosing a track through drag and drop is utterly different to digging through a box with a very limited selection thoroughly and carefully chosen before leaving home, or so you’d hope. In fact, the irony of having a greater number of choices is that it’s invariably harder to choose, or easier to make do with default choices, which are not real choices at all. A lot of DJs’ selections turn to shit after they start using digital. Somehow – no, because of all those choices, they’re unable to make a single interesting one. This is no coincidence.
Da ist es wieder, das altbekannte Thema von der ‚Meterware Musik‘. Und ich kann es nicht verneinen – die Vielfalt und Einfachkeit in der Beschaffung führen über kurz oder lang zu einer Übersättigung. Gerade letztens habe ich ca. 30 Tracks in Ableton geladen, die ich mir in der letzten Zeit auf Beatport gekauft habe. 30 Tracks, das wären etwa 15 Platten. Hätte ich die gleichen Platten gekauft, oder hätte ich vielleicht nicht eher überlegt, abgewogen, welche 12″ nun ihr Geld wert ist, welche es verdient gespielt zu werden, nicht nur einmal, sondern auf Dauer? Vermutlich letzteres. Bei mp3s erübrigt sich dieses Denken, man greift einfach zu, steckt es in einen Ordner und vergisst es…zumindestens geht das mir häufig so. Wie ich schon neulich erwähnt habe, ist der Einkauf von mp3s stark impulsgesteuert, die Auswahl in einem DJ Set dagegen weniger; hier muss man reagieren und agieren können, seine Tracks kennen. Und so gräbt man sich durch seine Ordner auf der Suche nach dem passenden nächsten Track, der jetzt in den Groove und zur Stimmung passt, und verliert sich irgendwann zwischen Dateinamen. Eine schier unbegrenzte Auswahl ist kein Segen sondern ein Fluch, denn in dieser Masse gehen die wirklich guten Tracks schnell verloren.
Bei Vinyl ist es anders – zumindestens laut Chambers – denn man hat eine eingegrenzte, sorgfältig ausgewählte, möglicherweise auf den Club abgestimmte Vorauswahl, die man guten Gewissens einpackt und sich seiner Auswahl auch durchaus bewusst ist. Auf dem Computer, in einer Bibliothek von mehreren hundert Tracks, ist es leichter die falsche Entscheidung zu treffen – und viele scheitern daran:
Any two-bit chump can download a huge body of work in a matter of days, something that would have required a huge expenditure of time, effort and money on the part of a vinyl collector. When you go and see a veteran play her set, she’s carrying with her whole decades of memories whittled down to some eighty selections. Packing a box requires further sacrifice, further selection, further acts of will, respect and love. You have to think, choose, include, reject. Without these repeated sacrifices, it’s all to easy fall prey to the tyranny of ‘any old thing’. ‘Oh shit, I need a track with drums to mix out of this, um… shit, only sixteen bars to go, oh, okay, this’ll do…’ Click, click, drag, drop. You hope the audience won’t feel the difference, and you fool yourself that you feel anything at all.
Hier kommt nun auch der Aspekt von „Jedermanns DJ“ ins Spiel. Natürlich ist es einfacher geworden aufzulegen. Wer heutzutage nicht mindestens ein Set mit Traktor oder Live gemacht hat braucht sich ja gar nicht in der Blogosphäre blicken zu lassen. Ich verurteile das nicht, ich gehöre schließlich zu dieser wachsenden Menge der (mehr schlechten als rechten) Hobby DJs, die gerne mal an Knöpfchen rumschrauben und sich des Sounds erfreuen. Das Problem ist, und hier stimme ich absolut mit dem Autor überein, ist dass die meisten einfach nichts aus den Möglichkeiten machen. Natürlich darf man das nicht pauschalisieren, natürlich gibt es auch mehr als talentierte Laptop DJs, doch die große Masse ist sich den Möglichkeiten nicht bewusst, und so tauchen weiterhin täglich Mixe mit willkürlichem 0815 Klickertechno auf, während der Vinylsammler zuhause sorgfältig die Platten von letzter Nacht einsortiert. Wohlgemerkt: es gibt auch genug schlechte Vinyl DJs…ein gewisses Talent braucht man natürlich, für beide Formen des DJings. Denn auch wenn die Track Selection noch so gut ist, so sollte man bei schlechtem Mixing doch lieber ganz darauf verzichten bevor mann die ganze Sache gegen die Wand fährt.
Noch eine Aussage zum Schluss, die es meiner Meinung nach ganz gut zusammenfasst:
„You can do anything on Ableton“…and you can, but most people do less and less. They don’t make minimal, they make very little of a lot. All too often it shows: lazy drum programming, boring melodies with no tension or development, and a screaming, dithering, swarming shitload of plugin effects to cook the tune in, so we don’t have to listen to the half-baked mess.
Diese Gedankengänge lassen sich sicher auch auf die Musikproduktion übertragen.
Du meinst im Sinne von analog vs. digital? Hmm…ja, vermutlich, wobei die sich meiner Meinung nach eher ergänzen als ausschließen.
Anfänglich hatte ich auch derbe Schwierigkeiten mit der Fülle der Tracks klar zu kommen und sehnte mich nach meinem Koffer :) Inzwischen mache ich mir vorher ne vergleichbare Playlist in Traktor zurecht und bin jetzt froh die Platte, die ich damals vermisst hätte, aber die im entsprechenden Moment sowas von passt, doch dabei zu haben!