Twines viertes Album Violets basiert auf der Dichotomie von Zerfall und Hoffnung. Schon das Cover vebreitet etwas, das Pitchforks Andrew Gaerig als „pleasant disrepair“ bezeichnet: Ein verlassener Raum mit sich lösender Tapete wird durch die hohen Fenster mit Sonnenlicht durchleuchtet, das Pastellgrün der Wände verbreitet trotz allem etwas warmes, etwas heimisches. Die Songs haben Titel wie „Endormie“, „Disconnected“, „From Memory“ und „Something Like Eternity“, und auch die Musik verbirgt diese Archäologie des Erinnerns, den Einblick in etwas Vergangenes, Stimmen aus den umherliegenden Notizzetteln des Covers, die dem Hörer auf der anderen Seite zusprechen.
Wie auch bei Fennesz basiert der Sound von Greg Malcolm und Chad Mossholder auf einfachen, langsamen Gitarrenloops, die mit Fieldrecordings und Samples untermalt werden, während zwischen statischem Rauschen immer wieder Vocalfetzen, Telefongespräche, beunruhigende, entfernte Kinderstimmen und Frauengesänge auftauchen, die durch spärlich aber präzise platzierte, mechanische Beats ausstaffiert werden. Selten war diese Mischung so perfektioniert, vielleicht hat es deswegen fünf Jahre gedauert bis sich Twine zurückmelden. Denn auch wenn Twine schon immer an dieser Soundästhetik gearbeitet haben, nie zuvor war das Ergebnis so fesselnd.
Violets ist kein Easy Listening, es erfordert Arbeit auf Seiten des Hörers, es berührt an tiefen, empfindlichen Stellen, es ist beunruhigend, wie sich schon beim Opener Small die Tremolo-Gitarre vor starkem Regenfall erhebt, bevor man mit Endormie in nicht minder verstörende Soundscapes abdriftet. Der Titeltrack verhüllt hinter zuckenden Beats ungreifbare, entkörperlichte Stimmen, die am Ende von Kindergeschrei aufgerollt werden, während man immer tiefer in dieses Universum hereingezogen wird, was zum Schluss in dem 13 minütigen Lighttrain seinen Höhepunkt findet, wenn verzerrte Samples durch die stetige Statik kämpfen, fragmentale Gitarren- und Pianochords nur aus der Distanz vernehmbar sind, sich langsam auflösen und schließlich im Dunkel verschwinden wie die Rückleuchten eines Zuges, bevor man von der ätherischen Stimme von Gail Schadt bei Something Like Eternity wieder zurückgeholt wird.
Und doch lässt Twines Szenario trotz des allgegenwärtigen Unbehagens immer wieder Hoffnung aufblitzen. Disconnected macht intensiven Gebrauch eines einfachen Gitarrenloops, das mit crunchigen Beats eine beeindruckende Synergie aus Doom-Folk und klassischen IDM Strukturen eröffnet. Und wenn sich bei Endormie zwischen französischen Stimmenfragmenten eine Kinderstimme erhebt und dabei proklamiert „There’s a wonderful place out there, but I don’t know where to go“, wird das Thema dieses Albums wieder deutlich: Jedes Ende ermöglicht auch einen neuen Anfang. Vergangenes umgibt uns, es dringt zu uns, aber es bleibt stehen, während wir uns weiterbewegen. Jeder Moment ist in dem Augenblick schon Vergangenheit, in dem er erlebt wird, er wird aufgerollt vom stetigen Rauschen der Gegenwart.
Wie auch auf dem Cover blinzelt immer wieder ein wenig die Sonne durch die Wolkendecken der scheinbaren Dystopie, und genau deswegen ist Violets ein so ungemein belohnendes Hörerlebnis.
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