The Long Tail – Konsum und Partizipation

Chris Anderson ist nicht nur Chefredakteur vom Wired Magazine, sondern auch Buchautor und Theoretiker, der vor einigen Jahren den Begriff „The Long Tail“ prägte, was auch gleichzeitig der Titel seines, fast schon ironischerweise, Bestsellers ist. long tail Andersons Spezialgebiet ist nämlich die Verkaufs- und Konsumökonomie, oder genauer: wie sich diese im Zeitalter des Internets verändert. Seine These besteht grob gefasst darin, dass sich die Massenmärkte, wie z.B. von Musik und Büchern, in immer kleinere Nischen aufspalten, und das Internet der ideale Platz ist, diese zu vertreiben, und noch besser, dem Massenmarkt, den Blockbustern und Bestsellern, langsam den Rang abläuft. Das Businessmodell der Zukunft besteht laut Anderson also darin, von vielen Produkten weniger zu verkaufen als mit wenigen Produkten einen großen Absatz zu erzielen. Wie der Titel des Buchs schon sagt: Nischenprodukte statt Massenmarkt. Der „lange Schwanz“ bezieht sich dabei auf die Verkaufskurve, die nach den Bestsellern zwar deutlich abfällt in Sachen Absatz, dafü aber in Sachen Vielfalt immer länger wird (siehe Abb.).

Andersons Theorie klingt logisch, allerdings gibt es auch hier Studien, die dagegen sprechen. Neben dem bloßen ökonomischen Aspekt allerdings hat das Internet als Anführer alternativer Vertriebsformen auch das Verhältnis von Konsument und Produzent verändert, gerade im Hinblick auf Medien wie Musik, Film und Literatur. Wo früher noch eine Kluft zwischen wenigen, professionellen Produzenten und einer großen Masse an Konsumenten lag, weil es einfach schwierig war, von sich aus an der Produktion teilzunehmen, fällt die Unterteilung heute weit kniffliger aus. Das Internet ermöglicht schier grenzenlose Wege der Selbstpublikation – Blogs, Netlabel, Communities, Onlineshops und Social Networking ermöglichen dem bis dato passiven Konsumenten, mit wenig Geld und Anstrengung aktiv zum Produzenten zu werden, während im Gegenzug der Produzent eine weitaus größere Chance hat, auch genug Konsumenten zu finden, gemäß dem Motto „egal was man macht, irgendjemand wird es schon interessieren“; es bedarf niemandem mehr, der erst die Entscheidung treffen muss, ob etwas auch interessant ist, weil die Konsumenten das nun alleine entscheiden.

Diese Entwicklung wirkt sich in folgendem aus, wie die folgende Grafik von Anderson zeigt:

long tail

Statt einer Zweiteilung von Produzent und Konsument, erreicht der Produzent nun drei unterschiedliche Gruppen von Konsumenten, die wiederum untereinander in Verbindung stehen. Dort wären zum einen die Fans, die „Enthusiasten“, die ein Produkt aufnehmen und weitertragen, die „Remixer“, die ein Produkt aufnehmen und es verändern oder erweitern, und die, etwas unglücklich betitelten, „Newbies“, die den größten Teil bilden, und die das Produkt zunächst nur aufsaugen, aber im weiteren Prozess entweder zu Remixern oder Fans werden. Genau hier, zwischen Fans und Remixern, entsteht ein komplett neues Feld kreativer Energie, das zwar schon immer da war, aber nicht in dieser Form und Intensität. Diese „Remix-Kultur“ nimmt eine immer wichtigere Position ein, gerade weil auch hier der „long tail“ erkennbar ist: Jeder Blogpost, der auf einen anderen Artikel Stellung bezieht, ist auf seine Art ein Remix, Sampling ist nicht mehr bloß eine Produktionstechnik sondern fast schon status quo – jedes YouTube Video, das Musik oder Texte verwendet, oder durch jene entfremdet wird, ist ein Remix, und die Anzahl davon ist um ein vielfacher größer als die der scheinbar „professionellen“ Produkte.

Was bei Anderson allerdings etwas kurz kommt, ist die Frage danach, inwieweit unser gesellschaftliches und wirtschaftliches System für diese Veränderung bereit ist. Noch immer ist Copyright ein großes Thema, auch die albernsten Videos werden von YouTube genommen, weil sie ein unerlaubtes Filmsample verwenden, P2P-Filesharing wird immer noch verdammt anstatt als Alternative gesehen, und auch in der Musikbranche, wo Remixe und Mash-ups inzwischen Gang und Gebe sind, sind es immer noch die vier Major-Labels, die den Ton angeben und mit ihren Entscheidungen auch die Kleineren betreffen, und das Internet ist, entgegen vieler Meinungen, bei weitem nicht so frei, wie es den Anschein hat.

Ich bin kein Ökonom, aber möglicherweise ist Andersons These der „Demokratisierung der Wirtschaft“ (dadurch, dass jeder selbst entscheiden kann was er konsumiert), auch wenn die Entwicklung erkennbar ist, und meiner Meinung nach auch sehr erfreulich ist, doch mit Vorsicht zu genießen. Trotzdem lässt sich nicht abstreiten, dass sich in den letzten Jahren eine deutliche Veränderung des Konsumverhaltens deutlich gemacht hat, die sicherlich in vielen Bereichen dem Internet zu verdanken ist.

Was man jedoch auch in Sachen Konsumverhalten nicht vergessen sollte, ist dass je länger der Schwanz wird, je größer die Vielfalt und Auswahl, desto schwieriger wird es womöglich für den gemeinen Konsumenten (den „Newbie“) sich zu orientieren, was zwar rein wirtschaftlich keine Folgen haben dürfte, da eben immer weniger von mehr verkauft wird, der Schwanz immer länger wird, aber doch zu einem Rückstoß führen könnte. Gerade zu dieser Überlegung, wie ein stetig größeres Angebot beim Konsumenten einen immer kleiner werdenden Fokus verursacht, werde ich demnächst etwas aus persönlicher Erfahrung schreiben.

One Comment

  1. Ellen Blümm

    Die aktuelle Studie von Zucker-Kommunikation hat sich ebenfalls mit Konsum und Partizipation befasst und einen neuen Konsumententypus identifiziert:
    Rund 13 Millionen Deutsche sind bereits dem parttiziptiven Konsumenten – einer Schnittmenge aus LOHAS (Lifestyle of Health and Sustainability) und Web 2.0 Usern – zuzuordnen. PARKOs geben sich nicht mehr mit herkömmlichen Kommunikationsformen zufrieden. Sie fordern von Unternehmen nicht nur die Offenheit gegenüber Kritik, sondern echte Dialogfähigkeit.
    Unter http://issuu.com/zuckerberlin/docs/studie-der-partizipative-konsument-parko
    gibt es eine Zusammenfassung der Studie.

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