Strategy, alias Paul Dickow, nebenbei Gründer und Betreiber des Community Library Label in Portland, muss starke Nerven haben, denn ein Album wie Future Rock ist eigentlich von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Ein Titel, der ebenso anmaßend wie augenzwinkernd ist (die Parallelen zu Can sind nicht zufällig), ein Label, dass eigentlich für Post-Rock bekannt ist, und die Ambition, ein Album zu produzieren, das die Grenzen zwischen IDM, Indietronic, Ambient und House verwischt, und mit einer ordentlichen Portion Dub zusammenhält. Allein schon die Credits lesen sich beeindruckend: Computer, Mixer, Spring Reverb, Analogue Delay, Radio, Synthesizer, Tape Loops, Electric Piano, Organ, Guitar [Electric], Vocals [Vocoder], Drum Modular, Drum Synthesizer, Vocals, Drums, Percussion und Field Recordings werden Paul Dickow zugeschrieben, und da fehlen noch die Instrumente, die im Laufe der letzten drei Jahre live eingespielt wurden. Kurzum: Ein Experiment, das sich zunächst beweisen muss.
Umso erstaunlicher, dass die Mischung nicht nur aufgeht, sondern sich nebenbei auch noch als eines der besten Alben des laufenden Jahres entpuppt, das seinem Titel durchaus gerecht wird. Dickows Genre-übergreifendes Konzept zeigt sich in einem Album verschiedenster Tempi, unterschiedlicher Stimmungen und Produktionsweisen, die zwischen Multi-Track Live Arrangements, analogen Synthesizern und reiner Laptopproduktion variieren, und trotz aller Soundästhetik stets einen warmen, menschlichen Eindruck hinterlassen.
Schon der Eröffnunsgtitel Can’t Roll Back ist ein wahres Hörerlebnis: Beginnend mit einem statischen Rauschen, aus dem sich eine Gitarre und eines Vocoderstimme erhebt, baut sich plötzlich ein stark percussiver, poppiger Funk Rhythmus auf, der im weiteren Verlauf um Layer und Layer erweitert wird, und in einem Klimax aus unterschiedlichsten Geräuschen und Instrumenten endet.
Der Titeltrack Future Rock erinnert stark an die Dubhouse Produktionen von Deadbeat oder auch Pole, mit tiefer Bassline und springenden Arpeggios, die sich zunehmend im Echo verlieren, während sich Handclaps plötzlich mit rumpelnden Livedrums verbinden und den Track nach vorne schieben. Ähnlich auch Phantom Powered, das jedoch etwas deeper und reduzierter ist, aber trotzdem einen sehr eingängigen, treibenden Beat besitzt.
Running on Empty lässt es ruhiger angehen, badet sich ebenfalls gehörig im Dub, lässt aber die vormals vordergründige Percussion gegen breite Synthieflächen laufen, aus denen sich gegen Ende neben einem kaum wahrzunehmenden Piano noch ein Gitarrenriff erhebt.
Stop Spinning geht wiederum in die Indietronic Ecke, wenn sich sehnsüchtige Vocals vor dem Electronica Vorhang, verwaschenem Piano und Spring Reverb ausbreiten, und in der Mitte des Albums etwas Zeit zum Luftholen lassen. Kurz vor Schluss folgt mit Red Screen noch ein Track, der dem Sound des Labels vielleicht am ehesten gerecht wird: Aus effektbeladenen Vocals, Field Recordings und Gitarren baut sich langsam eine unheimlich anmutende Post-Rock ähnliche Wall-of-Sound auf, die scheinbar alles unter sich begraben scheint, während der finale Ambienttrack den Hörer dann endgültig in den Deepspace befördert. Abgerundet wird das Album von zwei kurzen, weitestgehend beatlosen Interludes auf Basis von Tape Loops und Livejams.
Future Rock ist ein ambitioniertes, abwechslungsreiches Album, das verhältnismäßig aufheiternd beginnt, sich zwischendurch etwas in Melancholie wiegt, und schließlich fast pompös endet. Strategys Palette an Einflüssen und Sounds ist trotz der Breite stets fokussiert, und auch in den Momenten, in denen man meinen könnte dass es nun ein Layer zuviel ist, wird man in den Sound hineingezogen, und wer sich darauf einlässt, den wird er so schnell nicht wieder los lassen. Nicht bloß ein Album, sondern ein Erlebnis, das keine Songs, sondern Kompositionen enthält, ein bisschen Mut zum Größenwahn beweist, und einen unglaublich dichten Sound bietet.
Experiment geglückt.
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