Shed – Shedding the Past

Es ist schwierig, als Rezensent einer neuen Platte auf Ostgut Tonträger nicht automatisch die Berghain-Referenzen spielen zu lassen, und gerade bei Shed, der wie fast alle Künstler der Berliner Labels einer der Resident DJs des legendären Clubs ist, sind die Assoziationen vorprogrammiert, tendiert sein Debütalbum Shedding the Past doch genau zwischen den Polen, aus deren Wurzeln, wie vielleicht auch auf dem Cover angedeutet, der inzwischen in alle Welt getragene Sound der Technostätte Berghain entspringt.

Doch trotz der offensichtlichen Einflüsse zollt Shed der Vergangenheit auf seine ganz eigene Weise Tribut, lässt gleichermaßen die unterkühlte Technoromantik von Detroit einfließen, die mechanisch-kalten Drums, die glasklare Percussion, die durch die Tiefen des Clubs hallt, von den allgegenwärtigen Echos, Delays und plinkernden Synth-Stabs des Basic Channel Erbes getragen, ohne dabei die Spuren distanzierter Melodie- und Melancholie zu verwischen, wie man sie gerade von Modern Love von Claro Intelecto und Andy Stott kennt. Einzig das Verfahren ist anders; fast alle der Tracks auf Shedding the Past entspringen einem reduzierten Minimalismus, wie man ihn sicherlich erwarten könnte, bewegen sich dann wie eine organische Masse zu etwas größerem, etwas ungemein vielschichtigerem, und genau aufgrund dieser scheinbaren Diskrepanz absolut sensationellem Ergebnis.

Schon die holprigen Beats des Openers Boose-Sweep lassen erahnen, dass man hier keine Peaktime-Kracher erwarten sollte, was ohnehin nicht der Philosophie von Ostgut Ton entspricht. Vielmehr sickert der Track langsam, nach wiederholtem Hören immer tiefer ein, bis sich der zunächst so unbalancierte Beat doch in einen ungemein ansteckendem Groove verwandelt. Genau dieses Rezept verfolgt Shed durch das gesamte Album hindurch, die Fähigkeit, aus kleinen Details, minimalen Variationen immer wieder neue Gebiete aufzubrechen, und dabei gleichermaßen schlüssig wie abwechslungsreich zu klingen – und das, obwohl die Zutaten denkbar simpel sind. Another Wedged Chicken und Flat Axe beispielsweise bewegen sich in durchaus bekannten Gefilden, nicken ordentlich in Richtung Basic Channel, und auch wenn die Kickdrum geradezu danach schreit, laut gehört werden zu wollen (wie übrigens auch der Rest), präsentiert sich der Rhythmus gleichermaßen deep und treibend.

Genau darin liegt die Faszination, darin, dass Shedding the Past eigentlich gar nicht klingt wie ein klassisches Technoalbum, dass es fast gänzlich auf Dancefloor-Smasher verzichtet, dass die Tracks ungewohnt eng zusammenhängen für ein Album dieser Art, fast schon ein Listening-Album präformieren, statt die Manifestation eines Clubsounds darzustellen. Und in der Tat, wirkt That Beats Everything! mit seiner so demonstrativen 4/4 Kickdrum, die sicherlich nicht zufällig nach einem zentral platzierten und auf einen beatlosen Track folgenden, auf Englisch gesprochenen Manifesto über „true techno music“, eintritt, fast störend, geradezu aus der Reihe fallend, denn Sheds größte Momente liegen genau dort, wenn er den klassischen Technostrukturen enteilt. Genau dann nämlich, wenn er bei Tracks wie Slow Motion Replay und The Lower Upside Down hinter breiten Flächen und verdeckten Pianoloop immer wieder kleine Mikrosamples formiert, oder wenn er bei ITHAW hinter einer im Midtempo vor sich hin pumpenden Bassline luzide Vocalschleier enthüllt, und man plötzlich das Gefühl hat, man blickt wie in Zeitlupe auf die im spärlichen Licht tanzende Meute des Berghains, etwas, das Shed nie aus den Augen verliert, diese Nähe zum Club.

Estrangé ist nicht nur Höhepunkt, sondern auch Quasi-Schlusspunkt der Reise, und doch gleichermaßen der Anfang – ein Track, der mit seinen verwaschenen Synths und stakkatomäßigen Snares klingt wie aus mittleren Warp Records Zeiten, wenn plötzlich alles kulminiert in einem unglaublich packenden Klimax, das alle denjenigen den Mittelfinger zeigt, die in Techno keine Emotionen hören, und, damit lehne ich mich jetzt weit aus dem Fenster, vielleicht einer der besten Tracks dieser Art ist, die ich seit Jahren gehört habe.

Wer Shedding the Past gehört hat, wird die Vergangenheit nicht mehr nur als etwas Abgeschlossenes erleben, sondern als Ursprung von etwas Neuem, genau wie man auch in Jahren noch von diesem Album sprechen wird. Von einem Klassiker, von einem album, das vielleicht weniger Techno ist als man denkt, und genau deshalb Techno auf eine ganz besondere Art vertritt.

# Preview + Buy @ Zero“

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