Schweden und Popmusik, das passt zusammen wie Fußball und Bier oder IKEA und Pressspan. Es ist erstaunlich, aber kaum ein anderes Land hat, gemessen an der Einwohnerzahl, eine so gefühlt hohe qualitative Dichte an Popbands, Singer und Songwriter hervorgebracht, dass man meinen könnte, die Straßen von Göteborg, Malmö und Stockholm müssen voller unentdeckter Talente sein, die sich gemeinsam mit Glögg betrinken, um dann in stilvoll eingerichteten Wohnzimmern gemeinsam wunderschöne Musik zu machen. Was damals mit ABBA begonnen hatte und mit Roxette und schließlich den Cardigans in erfolgreicher Manier weitergeführt wurde, spielt sich heute vielleicht nicht immer auf den ganz großen Bühnen der Welt ab, aber zumindest auf den Stereoanlagen anspruchsvoller Musikliebhaber. Und auch wenn es vielleicht immer noch die schwedische Popszene ist, die schon immer die größten Akzente gesetzt hat, und auch im letzten Jahr mit Namen wie Robyn, Lykke Li und El Perro del Mar wieder Aufmerksamkeit erregte, hat sich in Schweden in den letzten Jahren sowohl eine eindrucksvolle Indierock-Szene etabliert (man denke an die Hives, International Noise Conspiracy, Mando Diao, Studio, Shout out Louds oder auch Radio Dept.), als auch eine beachtliche Anzahl erfolgreicher Techno- und House-Produzenten auf den Plan gerufen (hier seien z.B. die omnipräsenten Minilogue erwähnt, sowie The Field, Aril Brikha, Pär Grindvik, Anders Ilar und natürlich Adam Beyer).
In dieser kleinen Übersicht soll es aber vor allem um Pop und Folk im weitesten Sinne gehen, daher grenzen wir Techno zunächst einmal kategorisch aus. Stolze 560 schwedische Künstler und Bands listet der „guide to Swedish pop music“ Hello! Surprise! inzwischen, so dass eine Auswahl der Besten zu treffen geradezu unmöglich ist. Doch jetzt, da selbst XLR8R einen Blick auf aktuelle Acts aus Göteborg, einem der musikalischen Ballungszentren des Landes, wirft, ist es vielleicht nicht verkehrt, ebenfalls den Fokus auf einige der interessantesten und nicht unbedingt bekanntesten Exporte aus dem sympathischen Land zu legen – als Teil einer dreiteiligen Serie über skandinavische Musik, die man eben nicht im Radio hört. Bekanntere Namen wie Anna Ternheim, Jens Lekman und auch José Gonzalez habe ich an dieser Stelle übrigens bewusst ausgelassen.
Anna Järvinen
Eines der Alleinstellungsmerkmale von Anna Järvinen ist sicherlich die Tatsache, dass sie als eine der wenigen Singer/Songwriter auch auf Schwedisch singt, das vielleicht der Bekanntheit außerhalb der Landesgrenzen einige Abstriche macht, der Musik aber außerordentlich gut steht. Und sind wir ehrlich: Schwedisch ist eine durchaus wohlklingende Sprache. Eigentlich 1970 in Helsinki geboren, ist sie früh mit ihrer Familie nach Schweden gezogen und dort auch aufgewachsen. Vor ihrer Solokarriere war sie Sängerin und Texterin von Granada , die sich 2003 auflösten. Mit Jack Fick Feeling veröffentlichte sie 2007 ihr erstes Soloalbum auf dem schwedischen Vorzeigelabel Häpna, eine schöne Sammlung erwachsener Pop-Tracks, bei denen sich schwermütige Piano- und Streicher-Balladen mit rockigeren, schnelleren Stücken (Leena) abwechseln, und es insgesamt wie eine etwas ungeschliffenere, aber deswegen keinesfalls schlechtere, Variante von Anna Ternheim klingt, die man auf jeden Fall mal hören sollte.
Tape
Das letztjährige Luminarium ist bereits das fünfte Album des Trios aus Stockholm seit 2002, und wenn man den Reviews glauben darf, gehört es zu den Besten, was angesichts des Erfolgs des Vorgängers Rideau beachtlich ist. Tape, das sind Tomas Hallonsten und die Brüder Andreas und Johan Berthling, und Luminarium ist eine wunderbare Sammlung kleiner und teilweise recht kurzer instrumentaler Kompositionen, vor allem im Vergleich zu den doch sehr langen Stücken des Vorgängers, die alle eine schimmernde Elektronik-Glasur haben, aber deswegen nicht weniger vor kleinen Pianochords und verhüllten Melodien stecken. Der Sound von Tape ist sehr geerdet, oft auch etwas schwer und vor allem schwermütig, wie ein guter Rotwein vielleicht, was sich hervorragend zum nächtlichen Hören eignet, und was wie ein Anker ist, wenn die Welt draußen mal wieder viel zu schnell an einem vorbeirauscht.
Little Dragon
Über Little Dragons intimes Konzert im Roten Salon in Berlin Anfang letzten Jahres hatte ich damals schon berichtet, aber wer hätte gedacht, dass das Debütalbum des Quartets es noch auf die Shortlist der besten Alben des Jahres schafft? Vermutlich niemand. Und doch hat mich dieses unscheinbare Kleinod eines Popalbums mehr als einmal durch die kalten Wintertage gebracht. Immer wieder mit kleinen Elektronik-Einlagen überraschend, dabei trotzdem sehr soulig und und eingänglich, voller kleiner Melodien und prägnanter Textzeilen, so ähnlich könnte man die Musik von Little Dragon beschreiben. Und dann ist da natürlich Yukimi Naganos großartige Stimme, die ich spätestens seit ihrer Kollaboration mit Koop in mein Herz geschlossen habe, und die auch bei Little Dragon mit ihrer sanften aber sehr intensiven Stimme zu begeistern weiß, egal ob gefühlvoll-melancholisch wie beim fantastischen Opener Twice, oder eher Upbeat-soulig wie bei Recommendation. Die Band, die sich schon seit der Schulzeit kennt, arbeitet gerade an einem zweiten Album, das im Frühjahr oder Sommer erscheinen soll, und das hoffentlich beim nächsten Berlin-Konzert mehr Besucher hinter dem Ofen hervorlockt. Denn es lohnt sich.
Sophie Rimheden
Sophie Rimheden arbeitet schon seit einigen Jahren an einer ganz speziellen Vision von Popmusik, die sich, von der experimentellen Elektronika kommend, zunächst vor allem in der Dekonstruktion widerspiegelte. Ihr erstes Album Hi-Fi war ein Ausflug in Glitch-Pop, mit viel Rauschen, Distortion und zerhackten und gefilterten Vocals hinterlegt, aber nicht ohne sich trotzdem ein bleepiges Disco-Feeling vorzubehalten – nicht zufällig wurde hier u.a. die Bassline von Bananaramas Cruel Summer gesampelt. Nach dem etwas schwächeren Miss im Jahr 2004, hat sich Rimheden nach einer längeren Pause letztes Jahr mit Traveller zurückgemeldet, ihrem vielleicht eingänglichsten Album, das um einiges Song-orientierter ist als die Vorgänger, und einen beherzten Schritt weiter in Richtung Elektropop macht. Rimheden singt inzwischen selbstbewusster, der Clicks & Cuts Sound der ersten beiden Alben ist einer ausgefeilteren Produktionstechnik gewichen, die desöfteren auch auf die Tanzfläche schielt, auch wenn es immer noch sehr angenehme Ecken und Kanten gibt, so dass eine Verwechslung mit dem geschliffenen Sound von Annie oder Robyn gar nicht erst in Frage kommt.
Air France
Air France haben zwar einen etwas seltsamen Namen, aber sie haben auch eine der besten EPs des letzten Jahres produziert, und ich bin vermutlich nicht der Einzige, der sehnsüchtig auf ein Album wartet. Aber noch sind die Infos zu einem Album sowie über das Duo eher spärlich gesäht; alles was man mit Sicherheit weiß, ist dass die Beiden Joel und Henrik heißen, aus Göteborg kommen, und 2006 mit Tradewinds ihre erste EP veröffentlicht haben. Ihr Stil ist eine wunderbare Mischung aus sommerlichen Melodien, diversen Instrumenten und Vocalsamples, was mich, und das habe ich schon öfters erwähnt, durchaus an das erste Album der Avalanches erinnert. Natürlich müssen sie erst noch beweisen, was noch in ihnen steckt, aber die Vorraussetzungen könnten nicht besser sein, und wer bei Songs wie June Evenings nicht an Sonnenuntergänge mit der/dem Liebsten im Arm denkt, dem kann vermutlich nicht mehr geholfen werden.
Detektivbyrån
Detektivbyrån, in Deutsch übersetzt heißt das so etwas wie ‚Detektei‘, sind vermutlich die folkigsten in dieser kleine Liste. Das liegt vor allem am omnipräsenten Akkordeon, das die instrumentalen Produktionen des Trios aus Göteborg immer etwas an traditionelle klassische Straßenmusiker und Balkanmusik erinnern lässt, und nicht zufällig auch häufig mit der Musik von Yann Tiersen in Verbindung gebracht wird. Dem gegenüber setzten Detektivbyrån allerdings immer wieder kleine Blips, Blops und Synthesizer Cords mit ein wenig 8Bit-Einschlag, so dass die Musik zumeist sehr verspielt und ungezwungen wirkt, aber trotzdem auch immer ein wenig nerdig, was sicherlich den Charme ausmacht, denn diese Kombination aus Folk und Blip-Pop findet sich letztendlich doch nicht an jeder Straßenecke. Letztes Jahr ist mit Wermland das zweite und erste „richtige“ Album erschienen, das erste war eine Sammlung der vorherigen Singles.
Bobby Baby
Bobby Baby, im wahren Leben Ellinor Blixt, ist so etwas wie ein Internet-Phänomen. Ihre ersten Veröffentlichungen kamen nämlich 2005 auf dem Netlabel Corpid und ihrer eigenen Webseite heraus. Die Resonanz war so positiv, dass sie seitdem auch mit zwei anderen Projekten, nämlich It’s a Musical!, gemeinsam mit Robert Kretzschmar, auf dem Morr Music Sublabel A Numer Of Small Things veröffentlicht hat, sowie letztes Jahr ein Album gemeinsam mit F.S. Blumm aufgenommen hat, das leider nicht wirklich beachtet wurde, und das obwohl es einige schöne Tracks enthält, die sich größtenteils um Akustikgitarren und subtile Keyboard- und Glockenspielpassagen drehen, und mit Bobby Babys beruhigender Stimme hinterlegt werden. Ansonsten produziert Bobby Baby verspielt-verträumte Popelegien, die auch live mehr als schön anzuhören sind und zu dezentem Kopfnicken einladen.
Wie immer ist auch dieser Überblick alles andere als erschöpfend, es gäbe noch zahlreiche Bands und Songwriter wie Hello Saferide, Frida Hyvönen, Slagsmålsklubben, Sambassadeur oder Hans Appelqvist zu erwähnen, und man würde immer noch nur an der Oberfläche kratzen. Ein guter Einstieg in die schwedische Szene bietet die oben genannte Seite von Hello! Surprise!, sowie die Kataloge der beiden Label Häpna und Labrador.
[Retro-Flagge von Marxchivist
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Annika Norlin, Frida Hyvönen und Labrador Records unter ferner liefen? Ich glaub es hackt! Die hätten locker mal jeweils einen eigenen Artikel verdient! Davon abgesehen finde ich Ihr Posting eine Frechheit, untergräbt es doch aufmerksamkeitstechnisch meine mittelfristigen Pläne zur Publizierung ähnlicher Inhalte! Nein, alles Quatsch ich finde das natürlich super wie hier die Schwedenpromo gefahren wird, weiter so Herr Eikman :)
In den nächsten beiden Teilen folgt dann Finnland und Norwegen, und dann gibt es vielleicht irgendwann mal Schweden:Revisited…Stoff dazu gibt es ja reichlich, vielleicht kann ich Sie dann zufriedenstellen, Herr Loopkid ;)
Prima, dann ist ja alles in Butter! Bei dem Norwegen-Posting würde mich mal interessieren ob es auch gute Bands gibt die auf Norwegisch singen. Die Schweden sind da ja sehr zurückhaltend, singen doch gefühlte 98% in exportfähigem Englisch. Wie toll wäre bitteschön eine Erlend Øye auf Norwegisch?
Spontan fallen mir mehr finnische Künstler ein, die Finnisch singen als Norweger mit Norwegisch. Nochmal etwas recherchieren…