Jürgen Müller – Science of the Sea

Es gibt Alben, bei denen ist die Entstehungsgeschichte fast so gut wie die Musik an sich: Jürgen Müllers Science of the Sea könnte eines davon sein. Hier ist also ein gewisser Jürgen Müller, Jahrgang 1948, Ozeanologie-Student der Universität Kiel in den späten 70er Jahren. Auf seinem Hausboot richtet er sich ein Studio ein, besorgt sich einige Synthesizer und setzt seine Liebe zur See, zum Ozean und der Fauna des Meeres musikalisch um. Da aber wider Erwarten niemand seine Musik kaufen möchte, verschwindet Müller in der Obskurität aus der er aufgetaucht ist – und mit ihm 100 selbstgepresste Platten, die dann im Jahr 2011 mysteriöserweise wieder auftauchen und die Ambient-Welt in Aufregung versetzen.

Wie gesagt, das Album könnte eines dieser Art sein. Vermutlich ist es aber eher ein cleveres PR-Manöver, und der wahre Produzent frönt hinter dem Pseudonym lediglich einer Liebe für Vintage-Synthesizer und Meeresdokumentationen. Jedenfalls scheint die Universität Kiel niemals einen Jürgen Müller gekannt zu haben.

Nun gut, geschenkt. Science of the Sea ist nämlich auch abseits der Legendbildung eine wunderbar harmonische Synthesizer-Reise, die der Nautik auf ihre eigene Weise huldigt. Tatsächlich könnte die Musik so etwas wie der Vorgänger dessen sein, was man einige Jahre später im Technobereich gemeinhin als „aquatic“ bezeichnet: Aus der stetig fließenden Klangmasse steigen immer wieder kleine, perlende Harmonieblasen nach oben auf, und paaren sich mit diesen leicht unterkühlt-schroffen Synthie-Klängen, die man damals wohl „futuristisch“ nannte.

Zwischen den Tönen scheint indes etwas zu schweben; man stößt auf ungreifbare Geräusche, die förmlich aus der Tiefe des Meeres hinaufdringen und wiederum etwas Größeres, Unentdecktes und ja, auch Abenteuerliches, vermuten lassen. Es bleibt bei der Vermutung, denn der musikalische Tauchgang dauert gerade einmal 35 Minuten. Und doch, in seiner Kürze liegt auch die Stärke: Es überfordert nicht, sondern regt angenehm an und lädt zum kurzen nachmittaglichen Abschalten ein. Ob die Sache nun tatsächlich vor 30 Jahren oder vor drei Jahren aufgenommen wurde, tut da letztlich nichts mehr zur Sache. Science of the Sea ist gerade aufgrund seines so offensichtlich zur Schau getragenen Retro-Kostüms so erfrischend.

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