Bevor nun das Geschrei losgeht: dass The Wire schon längst jenseits des deutschen Unterschichtfernsehens ein Geheimtipp ist, braucht man nicht mehr zu sagen. In den letzten beiden Jahren hat sich so ziemlich jedes Medium, das halbwegs auf dem laufenden ist, über die Ausnahmeserie ausgelassen, und sie in der Regel auch in höchsten Tönen gelobt. Da ich gerade zum zweiten Mal die fünf Staffeln und 60 Folgen angeschaut habe, schreibe ich nun trotzdem darüber. Denn was beim ersten Mal schon große Klasse war, hat mich beim zweiten Durchlauf dann endgültig umgehauen. Wie man es geschafft, über fünf Staffeln einen derart großen Bogen zu spannen, und die Fäden trotzdem immer wieder, teilweise über Staffeln verteilt, ineinanderlaufen laufen zu lassen, ohne dabei auch nur annähernd zu gewollt zu wirken. Wie man den Mut hatte, auch den vielleicht sympathischsten Charakteren immer wieder Schwächen zuzusprechen, da niemand, aber auch wirklich niemand perfekt ist. Wie man ein solch realistisches Stadtbild erschaffen hat, mit so glaubwürdigen Schauspielern, die teilweise direkt von der Straße gecastet wurden, und dennoch, oder gerade deswegen zu überzeugend, wirkten. Wie man es geschafft hat, trotz hohem Gewalt- und Erwachsenenantei nie profan zu wirken – all das ist nicht nur erstaunlich, sondern in seiner Art einmalig.
Es ist kaum verwunderlich, dass diese Serie nie in Deutschland zu sehen war. Nicht nur sind die Probleme außerordentlich Amerikanisch, sie würde auch die Aufmerksamkeitsspanne des gemeinen deutschen Zuschauers überfordern. Denn The Wire ist eine Serie, deren Hauptdarsteller keine Person, sondern eine Stadt ist, deren Probleme aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln betrachtet wird. Ein Zeitdokument, dass über allem nicht nur fesselnd, sondern auch höchstgradig unterhaltsam, stellenweise sogar verdammt witzig ist. Dass dies nun auch, mit Verspätung, der Spiegel mitbekommen hat, bestätigt meine Meinung nur. Und deshalb zitiere ich nun auch von SpOn den Inhalt, da es so schön auf den Punkt ist:
In den 60 Folgen der Serie aus der Hafenstadt Baltimore geht es um: Drogenhandel (aus der Sicht der Kleindealer, der Bosse, der Junkies, der Polizei und der großen Politik), das US-Schulsystem, die Auswirkungen der Globalisierung auf amerikanische Frachthäfen. Um Menschenhandel, Korruption, die Zeitungskrise. Vor allem aber um die Unfähigkeit verzahnter Systeme wie Polizei, Justiz, Politik und Geschäftswelt, gemeinsam Lösungen zu schaffen – etwa für das Drogenproblem der amerikanischen Unterschicht. Und um meist vergebliche Versuche, diesen Systemen ein Schnippchen zu schlagen. Dass es gelungen ist, diesen oft brutalen Amerika-Essay in Serienform immens unterhaltsam zu machen, ist David Simons [dem Produzent, Anm.] eigentlicher Verdienst – und der seiner phantastischen Darsteller.
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