Feature: Twine

Twine sind so etwas wie die Prototypen einer Generation von Filesharing-Produzenten. Dank FTP und Instant Messaging produzieren Greg Malcolm und Chad Mossholder zwischen ihren Heimatorten Boulder, Colorado und Baltimore seit fast einem Jahrzehnt sphärische Soundscapes. Trotz Releases auf renommierten Labels wie BiP_HOp oder Hefty folgte der Durchbruch des Duos jedoch erst 2003 mit der Veröffentlichung des selbstbetitelten Albums auf Ghostly International, dass u.a. auch die Homebase von Matthew Dear und Dabrye ist. Fünf lange Jahre sind seitdem ins Land gegangen, doch jetzt melden sich Twine eindrucksvoll mit ihrem sechsten Album zurück.

Violets ist der Titel, und es ist ein weiterer Ausflug in fesselnde Ambientsphären, die einmal mehr die Verwendung von Stimmen, Samples, Field Recodings und, fast typisch für Twine, Gitarrenloops als Grundlage haben. Trotzdem kann man dem Duo eine Entwicklung seit ihrem Debüt im Jahre 1999 zuschreiben; man hat die klassischen IDM-Strukturen hinter sich gelassen und scheint einen Platz zwischen Post-Rock und düsterem Ambient gefunden zu haben. Twine klang selten so fokussiert wie auf Violets, selten hatte die stets sehr dichte, düstere, aber doch immer wieder mit Augenblicken der Hoffnung bestückte Musik einen höheren Storycharakter. Violets ist Kopfkino, und wie uns Chad Mossholder verrät, ist es genau das, was Twine möchte.

Ein Gespräch über die Thematik des neuen Albums, Entwicklungen im Sound und die Antwort auf die Frage, warum es ganze fünf Jahre gedauert hat bis Violets erschienen ist.

Lasst uns zu Beginn ein wenig in die Geschichte abtauchen. Wir habt ihr euch eigentlich kennengelernt, und wie seid ihr in zwei verschiedenen Ecken der Staaten gelandet?

Chad: Greg und ich haben uns in der High School kennengelernt, vermutlich weil wir die gleichen Interessen hatten: Musik, Kunst und Skateboarden. Anschließend haben wir die gleiche Universität besucht, wo wir dann schließlich auch Twine gründeten. Danach habe ich allerdings einen Job in Colorado angenommen, wo ich Musik und Soundeffekte für Xbox Spiele produziere, während Greg zurückgeblieben ist. Zum Glück ist das Projekt daran nicht gescheitert, dem Filesharing und der guten alten Post sei dank.

Wo wir gerade dabei sind, wie sieht euer Produktionsprozess aus? Läuft das alles online ab, oder trefft ihr euch auch gelegentlich in persona?

Jeder von uns produziert eigentlich seine eigenen Sachen, Songs und Fragmente, die wir dann auf einem gemeinsamen Webserver abspeichern. Wir schauen regelmäßig dort nach ob der andere etwas neues hochgeladen hat, und bauen dann darauf unsere Ideen auf. Auf diese Weise entstehen teilweise ungemein interessante Sachen, da wir nie genau wissen was uns erwartet und wie wir das konstruktiv weiterentwickeln können. Bis jetzt hat das immer ganz gut geklappt.

Euer letztes Album kam 2003 heraus. Das ist eine recht lange Zeit. Warum hat es so lange gedauert bis Violets erschienen ist?

twine
Eine gute Frage. Greg und ich haben eine Menge Zeit und Energie in das neue Material gesteckt, das man auf Violets hören kann. Wir haben auch wirklich darauf gepocht, diese Tracklist bei Ghostly durchzusetzen, und dabei eng mit dem Label zusammengearbeitet. Wir wollten etwas sehr spezielles veröffentlichen, ein Erlebnis für den Hörer bieten, das mehr an einen Film als ein Album erinnert, und gleichzeitig eine Geschichte erzählt, Storycharakter hat.

Etwas neues zu machen ist nie einfach. Gerade in einer Zeit, in der sich die Musikindustrie in einem Wandel befindet und neue Businessmodelle auf dem Vormarsch sind, aufgrund der mp3 Situation und der stetigen Konkurrenz mit anderen Formen von Entertainment wie Filmen oder Computerspielen. Kurzum: es ist schwierig momentan für Labels und Künstler etwas zu veröffentlichen. Ghostly hat das natürlich auch gespürt, und musste sich erst um einige wichtigere Dinge kümmern bevor sie unser Album veröffentlichen konnten. Zudem waren wir beide auch sehr beschäftigt mit unseren Nebenprojekten, und gerade mein Job als Sound Designer für Computerspiele nimmt sehr viel Zeit in Anspruch. Ironischerweise geht es der Spieleindustrie besser denn je, verglichen mit der Musikindustrie.

…also war es eine Entscheidung des Labels?

Ghostly war und ist ein großer Rückhalt. Selbst wenn es dem Label schlechter geht veröffentlichen sie weiterhin großartige Musik, die immer wieder in neue Gebiete stößt. Andere Labels hätten vermutlich gesagt dass unser Album ein Nischenprodukt ist, und wären das Risiko nicht eingegangen, aber Ghostly stand immer hinter uns, und auch wenn es etwas länger gedauert hat, sind wir jetzt glücklich dass Violets draußen ist.


Violets ist voller Stimmen, die scheinbar aus dem Nichts kommen. Woher kommt diese Faszination mit Stimmen?

Ich war schon immer von der menschlichen Stimme fasziniert; von den Rhythmen und Texturen, den Facetten, die sie erzeugen kann. Eine Stimme zu hören kann dir helfen in die Musik einzutauchen, und dann wird diese wiederum zu einem Film in deinem Kopf, wird zur Erzählung, die für jeden selbst entsteht. Dafür haben wir eine Menge an Stimmen und Samples gesammelt über die Jahre, haben aber auch selbst aufgenommen wann immer sich die Möglichkeit ergab. Viele dieser Aufnahmen sind auf dem Album zu hören.


Trotzdem habt ihr auch das erste Mal mit richtigen Sängern kollaboriert?

Ja, es ist das erste Mal für Twine dass wir wirklich Sänger/innen mit einbezogen haben. Das war eine wirklich interessante Erfahrung, die wir gerne wiederholen möchten in der Zukunft. Zudem ist Alison Shaw, Sängerin der Cranes, eine meiner Lieblingssängerinnen. Ihre Stimme ist fesselnd, wunderschön und einfach einzigartig. Sie passt perfekt in unsere Musik.

Das Cover von Violets scheint zwischen Zerfall und Hoffnung zu pendeln. Ähnlich scheint mir auch die Musik zu sein, denn immer wieder blitzen kleine hoffnungsvolle Momente auf. Ist das etwas, dass ihr gezielt mit eurer Musik erreichen wollt?

Ich versuche in der Regel unserer Musik keine Bedeutung aufzubürden. Violets klingt einfach so, wie du es erfährst. Das Artwork hat Ghostly für uns zusammengestellt und es ist wunderbar. Es passt genau zu unserem Sound, etwas sehr organisches, weniger elektronisches, genau das, was wir verkörpern.

Ihr habt öfters erwähnt dass ihr eure Alben gerne als Soundtracks zu Filmen seht. Wie würde so ein Film aussehen?

Ich bin großer Fan von David Lynch und Chris Marker. Ein toller Film wäre bestimmt, wenn Chris Marker an all die Orte reisen würde, an denen David Lynch war, und sich daraus dann die Story entwickelt. Das würden wir sofort vertonen!

Viele Künstler sprechen sehr kritisch von ihren früheren Werken. Wie steht ihr zu euren ersten Alben?

Ich mag die alten Sachen eigentlich noch sehr gerne, aber es stimmt schon, dass es eine andere Zeit war, zum einen für uns als Künstler, zum anderen natürlich auch in Sachen Technologie. Unser erstes Album wurde mit alten Keyboards und Hardware Samplern produziert. Heute dagegen benutze ich, abgesehen von meiner Gitarre und den Field Recordern, eigentlich gar keine Hardware mehr. Vielleicht bevorzuge ich daher auch die neueren Sachen, ganz einfach weil sie sich lebendiger und aktueller anhören, einfach mehr die momentane Zeit widerspiegeln.

Wie hat sich euer Sound im Laufe der letzten zehn Jahre verändert?

Ich denke, dass unsere Musik sich immer weiter weg von „IDM“, wenn man es denn so nennen kann, entwickelt hat. Stimmung und Struktur sind zwei wesentliche Elemente in unserer Musik, auf die wir auch sehr großen Wert legen, aber es sollte trotzdem immer ‚hörbar‘ sein und nicht bloß Noise sein. Unsere Musik soll vielmehr eine Geschichte erzählen, eine Erzählung an sich darstellen, die aber jeder selbst schreiben muss. Wir geben nur den Anstoß.

Ihr scheint immer wieder zu diesen langsamen Gitarrenloops zurück zu kommen?

twine Ich war schon immer Gitarrist. Und ich war schon immer Fan von elektronischer Musik. So kam die Verbindung zustande. Meine ersten Sachen habe ich auf einem c64 SID Editor in den 80er Jahren geschrieben, und mein Gott, war das ein Spaß! Ich sollte mal schauen ob ich die Sachen noch habe, vielleicht können wir einiges für das nächste Twine Release verwenden. Wir sind beide Fans von My Bloody Valentine, Slow Dive, Cocteau Twins, diese Shoegazer Sachen eben, aber auch von den Cranes oder Joy Division. Wir haben auch keine Einschränkungen an unseren Sound; wenn wir einen „Doom Metal“ Track machen wollen, so richtig im Black Sabbath Stil, dann machen wir das eben. Wir werden diesen dann aber „Twine-izen“, das ist klar. Es ist gut, dass keiner von uns erwartet immer das gleiche Album zu produzieren. Viele Bands rutschen in diese Falle, aber wir haben zum Glück die Freiheit genau das zu machen, was wir gerade mögen und hören.
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Was sieht die Zukunft von Twine aus, und an was arbeitet ihr momentan sonst noch?

Wir haben eine riesige Sammlung von unveröffentlichten Tracks, die wir gerne rausbringen möchten. Ich persönlich habe mich in orchestrale Kompositionen vertieft, was sehr viel Spaß gemacht hat. Zudem schreibe ich noch immer Musik für Videospiele, und momentan arbeite ich wieder mit Autor und Multimedia-Artist Mark Amerika zusammen, für dessen aktuellen Feature-Film ich den Soundtrack komponiere. Ich kann noch nicht zu viel verraten, außer dass es ein ziemlich großartiger Film ist. Marks Bildersprache ist einzigartig, sehr schön anzusehen, aber auch sehr provokativ. Der Soundtrack klingt ein wenig wie Twine, und das Gesamtergebnis ist ein halluzinatorisches audiovisuelle Erlebnis. Der Film wird voraussichtlich in Museen und auf Filmfestivals rund um den Globus gezeigt werden, und vermutlich auch auf DVD herauskommen. Greg und ich arbeiten zudem noch an neuem Material, das in eine etwas andere Richtung geht. Vielleicht veröffentlichen wir die nächste Platte als eine 5.1 Surround DVD, wenn es möglich ist.

Dauert es wieder fünf Jahre bis das nächste Album erscheint?

Hoffentlich nicht! Wir hatten auch nicht vor dieses Mal so lange zu warten, aber wie ich schon erwähnt habe, war es außerhalb unserer Möglichkeiten. Wenn man sieht wie viele Tracks wir bereits fertig haben, dann sollte es eigentlich keine fünf Jahre mehr dauern bis zum nächsten Album, aber garantieren können wir das leider nicht.

Wie schaut es aus mit ein wenig Twine-Action in Europa?

Wir würden gerne zurück nach Europa kommen! Europa ist Amerika um Längern voraus wenn es um moderne und innovative Ideen geht, und die Leute sind um einiges offener für unseren Sound, und für experimentellen Sound im Allgemeinen. Wir lieben Europa!!

Und Europa liebt Twine. Zumindest tun wir das, und wir hoffen natürlich, dass uns der Twinesound auch bald live verzücken wird. Bis dahin danken wir Chad Mossholder für das kleine Interview, und auch den netten Leuten drüben bei Stars & Heroes, die es überhaupt ermöglicht haben.

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