Gemessen an seinem jetzigen Alter steckt Dubstep noch in den Kinderschuhen. Doch wie Kleinkinder eben sind, strecken sie schon frühzeitig die Hände nach neuen Dingen aus. Diese Form frühkindlichen Entdeckungstriebes manifestiert sich im Dubstep durch das Aufsaugen veschiedener Spielarten elektronischer Musik. Denn schon längst ist Dubstep nicht mehr bloß die simple Kombination aus Dub-Elementen und 2Step-Beats, sondern dem eigenen Laufstall entwachsen und versucht nun durch Einflüsse von Breakbeat, Techno und IDM die nächsten Schritte zu meistern. Das hilft nicht nur Dubstep, den stetigen Konflikt zwischen Übersättigung und Hype durch neue Nischen zu entrinnen, sondern bietet plötzlich auch Gelegenheit für Producer aus anderen Genres, sich auf der Spielwiese Dubstep auszutoben.
Paul Rose, als Produzent unter dem Namen Scuba bekannt, war einer der Geburtshelfer von Dubstep. Der gebürtige Londoner, der vor kurzem nach Berlin gezogen ist, gehört mit seinem Label Hotflush nicht nur zu den ältesten Namen der Szene, sondern auch zu denen, die schnell versucht haben, die Grenzen von Dubstep zu überschreiten und zu erweitern. Wo viele seiner Kollegen noch immer auf dem archetypischen, basslastigen Clubsound herumreiten, versucht Hotflush eine andere, deepere Spielart von Dubstep zu etablieren, wie uns Scuba im Interview verrät.
Du bist vor kurzem nach Berlin gezogen. Das erscheint irgendwie untypisch für jemanden aus der Dubstep Szene…
Ich bin mir gar nicht sicher wie eng ich überhaupt in der Dubstep Szene verbunden bin. Ich finde, dass ich sowohl persönlich als auch mit dem Label immer ein bisschen abseits vom Mainstream-Dubstep stehe. Der Grund nach Berlin zu ziehen war aber eher persönlicher Natur. Ich bin in London geboren und habe dort mein ganzes Leben vebracht, und irgendwann war ich einfach an dem Punkt angelangt, an dem ich gelangweilt war. Im Herbst letzten Jahres bin ich dann umgezogen, und bis jetzt fühle ich mich ziemlich wohl. Man kann einfach ganz anders arbeiten als in London, es ist viel entspannter und freundlicher.
Wie schätzt du die Dubstep Szene hier in Deutschland ein?
Ich bin nicht wirklich involviert. Ich habe einige Male hier gespielt, aber ich glaube die Szene ist immer noch recht klein, wobei es aber auch langsam größer wird. Ich habe im Januar in Leipzig gespielt und es war ein ziemlich guter Vibe, hoffentlich gibt es das öfters in Zukunft.
Wie sieht es auf Producer-Seite aus?
Die meisten Demos die ich bekomme sind von Producern aus England, ganz klar. Es gab aber gerade in letzter Zeit einige Crossover-Projekte, wie z.B. der T++ Remix von Shackleton. Der typische Berlin Sound ist auch meiner Meinung nach recht kompatibel, zumindestens mit einer Seite von Dubstep. Diese Entwicklung ist sehr interessant, aber richtige Dubstep Producer gibt es noch nicht allzu viele in Deutschland, oder zumindestens kenne ich sie nicht.
Um 2001 herum gab es mal eine ziemliche 2 Step Welle in Berlin, vielleicht wird ja jetzt Dubstep das nächste große Ding.
Dubstep ist ja aus 2-Step entstanden, und ein Großteil von Dubstep hat noch immer Züge davon. Natürlich hat man sich von diesem kommerziellen Hardstep abgewendet, aber der Garage-Einfluss ist immer noch zu hören. Das ist ziemlich witzig, denn als ich mich für Dubstep interessiert habe, war ich dem ganzen Garage Sond ziemlich überdrüssig, und ich wollte so weit weg davon wie nur möglich. Doch je mehr Distanz man zu etwas hat, desto mehr lernt man es zu schätzen, und inzwischen näher ich mich auch wieder Garage an.
Was muss ein Track mitbringen um auf Hotflush veröffentlich zu werden?
Die Auswahl wird mit jedem Monat schwieriger. Ich bekomme ca. zehn Demos pro Tag, die alle gehört werden wollen. Einer der Nachteile daran, dass Dubstep immer bekannter wird, ist dass einige Leute eine ziemlich eingeschränkte Vorstellung davon haben wie es klingen muss. Viele der Demos die ich bekomme sind daher auch ziemlich langweiliges Standard-Dubstep, mit Half-Step-Drums, wobbly Basslines und Reggae-Samples. Das ist fast schon wieder eine Parodie auf Dubstep, aber da muss man eben durch, auch wenn es nicht immer einfach ist.
Was wir schon immer mit dem Label machen wollten, ist einen Sound zu etablieren, der sich von der Allgemeinheit abgrenzt. Uns geht es nicht ums Geld, solange wir keine Verluste machen, und daher versuchen wir auch immer etwas Neues zu probieren. Wonach wir suchen sind weniger Tracks als frische Ideen, die Dubstep aus einem anderen Blickwinkel betrachten.
„Ein anderer Blickwinkel“ – das bedeutet fast unweigerlich, genrespezifische Restriktionen aufzugeben und sich Einflüssen von außen zu öffnen. Wie auch andere Musikarten (man denke an Drum and Bass), scheint Dubstep nicht nur aufgrund seiner multikulturellen Entstehungsgeschichte und den durchaus disparaten Ziehvätern Dub und 2Step für diese Entwicklung prädestiniert zu sein. Gerade in jüngster Vergangenheit hat sich Dubstep vermehrt durch Crossover-Produktionen mit Techno- und IDM-Einschlägen in neues Territorium gewagt. Doch wo das eine auf den Club-Kontext abzielt, scheint das andere bewusster auf Listening-Ebene zu arbeiten. Der Einfluss experimenteller Elektronika entzieht sich zwar teilweise dem Clubanspruch von Dubstep, verliert sich aber nicht zwangweise in anstrengender DSP-Effekthascherei, sondern zeichnet sich vor allem durch die gezielte Verwendung von Pausen, Flächen und detaillierten Arrangements aus, was den sonst oft gedrungenen Produktionen besondere Tiefe verleiht.
Betrachtet man sich nun die Auswüchse von Dubstep, die immer vielschichtigere Formen annehmen und größere Wurzeln schlagen, so hat sich Dubstep aus dem Nischen-Dasein als Süd-Londoner Subkultur selbst zum Melting Pot unterschiedlichster Sound-Ästhetiken gemausert, was laut Scuba nur eine logische und positive Entwicklung ist.
Du sagst „anderer Blickwinkel“. Viele Produktionen auf Hotflush, u.a. auch deine eigenen, scheinen um einiges deeper zu sein als der Rest, sie sind häufig sehr ruhig und lassen viel Raum zum Entfalten..ist das einer dieser Blickwinkel, mit dem man auf Dubstep schauen kann?
Die Verwendung von Raum und Pausen ist für mich ein integraler Bestandteil der Musik, der leider in letzter Zeit häufig vergessen wird, und man viele Tracks hört, die einfach viel zu vollgepackt mit Samples sind. Ich setze mich aber auch nicht gezielt hin, und denke mir dass ein Track jetzt auf eine bestimmte Weise klingen muss, oder irgendwie besonders deep sein muss. Ich setze mich einfach daran und arbeite einige Stunden konzentriert mit einer Idee, dann mache ich mir eine Tasse Tee und höre mir den Track nochmal an. Wenn es dann immer noch gut klingt bin ich zufrieden. Prinzipiell gibt es auch nur zwei Parameter, die ein Dubstep Producer beachten sollte: Tempo und Bass. Darauf basierend kann man in fast alle Richtungen gehen, aber viele haben da offensichtlich eine andere Auffassung…
Wobei es das ja auch interessant macht…
Das hat vermutlich auch die Veränderung von Dubstep in den letzten fünf Jahren vorangetrieben, die Freiheit, die man sich nehmen kann, um eben anders zu klingen als der Rest. Das verhindert natürlich nicht dass auch eine Menge Schrott veröffentlicht wird, aber man hat zumindestens immer die Chance sich neu zu erfinden, wenn man denn möchte.
Wo liegen deine persönlichen Einflüsse?
Ich kann vermutlich nicht abstreiten dass ich von den frühen Autechre und Aphex Twin Sachen ziemlich beeinflusst wurde, vielleicht kann man das sogar aus meinen Produktionen heraushören. Auf der anderen Seite habe ich aber auch viel Drum & Bass gehört, und 80s Pop ist vermutlich das, was bei mir zuhause am meisten neben Dubstep läuft.
Der Einfluss von IDM scheint gerade in letzter Zeit auch immer offensichtlicher im Dubstep Bereich zu werden. Man hat diese emotionale Komponente, gepaart mit komplexen Arrangements jenseits von 4/4, die mir immer öfters auffallen.Was hältst du von dieser Entwicklung?
Ich finde diesem Electronica-Einfluss ziemlich interessant. Es stimmt schon, dass es da gerade in letter Zeit einige Entwicklungen gab, in denen gerade auf Kompositions-Ebene Gemeinsamkeiten zu einigen IDM Produktionen sichtbar werden. Der gemeinsame Ansatz ist vermutlich, nicht immer den direkten, geraden Weg zu folgen, sondern eben mit den einzelnen Elementen zu experimentieren.
Allerdings gibt es da auch einen Kontrast zum club-tauglichen Dubstep. Viele der Produktionen mit Anleihen von experimenteller Electronica sind nicht wirklich DJ-freundlich, was sich der eigentlichen Idee von Dubstep etwas wiedersetzt, von daher ist diese Verbindung aus IDM und Dubstep nicht immer einfach umzusetzen.
Glaubst du, dass Dubstep vielleicht so etwas wie ein Fluchtpunkt für frustrierte IDM-ler ist, nachdem IDM selbst ja seit Jahren auf der Stelle zu treten scheint?
Da kenne ich mehr frustrierte Drum & Bass Producer, die jetzt zu Dubstep wechseln. Da fällt es schwer nicht zu glauben, dass man eben mal Dubstep probieren sollte wenn man es denn mit einer anderen Form von Musik nicht schafft erfolgreich zu sein. Das ist sicherlich nicht immer so, aber ich kann mir schon vorstellen, dass einige so denken. Trotzdem glaube ich nicht, dass jetzt vermehrt IDM Künstler anfangen Dubstep zu produzieren. Von den Producern, die wirklich aus dieser Szene kommen fällt mir spontan nur Boxcutter ein, der jetzt auch gerade ein Album mit älteren Produktionen veröffentlicht hat. Ansonsten kommt die Verbindung vermutlich wie bei mir auch eher zufällig, und einfach aus der Lust daran die Grenzen des Genres zu erweitern.
Dubstep ist also generell ein Schmelzpunkt für alle möglichen Stile, von IDM bis Drum & Bass?
Natürlich, nur so kann sich Dubstep weiterentwickeln und spannend bleiben. Es gibt die Einflüsse von Reggae und Dancehall auf der einen Seite, dann die von Techno auf der anderen, und natürlich den experimentellen Aspekt von IDM. DIe Aufgabe liegt darin, es auch in Zukunft noch weiterentwickeln zu können. Darin liegt auch die Philosophie von Hotflush, die Grenzen immer weiter auszuloten. Dubstep ist noch ein ziemlich junges Genre, die Möglichkeiten sind noch lange nicht ausgereizt. Drum & Bass hat auch eine sehr seltsame Entwicklung gemacht. Das war über Jahre eine spannende Sache, aber inzwischen sagt man, dass Drum & Bass auf der Stelle tritt. Eine ähnliche Entwicklung kann man wohl auch IDM zuschreiben, oder Techno. Früher oder später ist alles ausgereizt, aber dann kommt wieder jemand mit einer neuen Idee, einem anderen Blickwinkel eben, und plötzlich wird es wieder aufgerollt und ist wieder angesagt. Dubstep allerdings ist noch am Anfang seiner Evolution, der Recycling-Punkt ist noch nicht erreicht.
Der Crossover von Dubstep und Techno ist in letzter Zeit sehr populär geworden. Trägt diese Entwicklung dazu bei, Dubstep noch bekannter zu machen, oder gerade auch den Leuten zugänglich zu machen, die eher einen Technohintergrund haben?
Das ist sicherlich ein Off-Shoot von Dubstep, und es ist eine gute Sache wenn Leute wie Villalobos oder T++ die Dubstep Szene für sich entdecken. Die Partyszene in England und im Rest von Europa könnte nicht unterschiedlicher sein. In London ist Dubstep eng mit der Drum & Bass Szene verknüpft, in Berlin dagegen versucht man sich Dubstep eben seitens Techno zu nähern. Die Frage ist natürlich, ob das dann noch als Dubstep bezeichnet werden kann, wenn man das Tempo anzieht und dem Ganzen eine 4/4 Bassline gibt.
Es gibt vielleicht auch einen anderen Grund für die Entwicklung: Bevor ich nach Berlin gezogen bin, hat man mir überall gesagt wie offen doch die Leute sind. Ich kann das nicht bestätigen, denn viele sind ziemlich engstirnig in Sachen Musik. Viele der Leute, die Minimal hören können nichts mit Dubstep anfangen, da es ihnen zu langsam ist, und das eröffnet natürlich auch einen Markt für diese Crossover-Produktionen wie beispielsweiser der Villalobos Remix von Shackleton.
Was ist die Idee hinter Hotflush und Scuba als Sublabel?
Hotflush war eigentlich gar nicht als Dubstep Label geplant. Mein damaliger DJ-Partner und ich haben ziemlich wildes Zeug aufgelegt, von Drum & Bass über Breakbeats hin zu Garage, aber alles in mehr oder weniger demselben Tempo. Wir wollten auf dem Label diesen Kurs fortsetzen, und die ersten Sachen von Hotflush hatten auch noch ziemlichen Garage-Einfluss. Zum wirklichen Dubstep Label wurde es erst in den letzten Jahren, und das war auch eher Zufall. Inzwischen haben wir eben diesen Ruf, und damit müssen wir wohl leben (lacht).
Scuba als Sublabel ist mit dem zehnten Release jetzt am Ende. Die Sachen die ich als Scuba produziert habe gingen ein bisschen in eine andere Richtung als der Rest auf Hotflush, und daher war Scuba eher als Outlet gedacht. Zehn ist aber eine schöne Nummer um die Sache abzuschließen.
Wie sehen die Pläne von Hotflush und dir selbst aus?
Zum einen kommt das Scuba Album im April heraus. Davor kommt noch eine Single, und wir werden eine kostenlos Online-Mix-Serie starten, mit einem Mix von Vaccine im März. Ansonsten bin ich mir aber noch nicht so sicher was der Rest des Jahres bringen wird. Es gibt da evtl. noch ein Album-Projekt, aber dazu kann ich zur diesem Zeitpunkt noch nichts sagen….
Wenn Minimal- und Dubtechno-Einflüsse also dafür sorgen, dass sich Dubstep auch der kontinentalen Technogemeinde öffnet, Grime-Produktionen immer öfters mit den Charts flirten und Labels wie Hotflush weiter an ihrer eigenen Vision von Dubstep mit IDM-Einschlag feilen, kann man dem noch jungen Genre doch beeindruckende Frühreife attestieren.
Scuba’s erstes Album A Mutual Antipathy erscheint am 7. April 2008, und wird u.a. auf Beatport zu kaufen sein.
Teile dieses Interviews sind in der De:Bug #121 erschienen.
5 Comments