Feature: Fennesz

Musik lebt von Gegensätzen. Schon seit jeher war es die Verbindung, die Symbiose des scheinbar Gegensätzlichen, die gleichermaßen fasziniert und aufreibt, und die ihren Schöpfern, zu ihrer Zeit meist als Querdenker belächelt, später häufig den Titel des Vorreiters bescherte. So erging es Satie und später Stockhausen, die die bis dato pompösen Klassik in einen Minimalismus packten, ebenso wie Dylan und Miles Davis, die mit der Verwendung von E-Gitarren ihre jeweiligen Genre-Restriktionen sprengten. Auch Christian Fennesz, der seit knapp 15 Jahren wie kaum ein anderer an der Schnittstelle von digitalem Noise und klassischer Instrumentierung arbeitet, und gerade mit Black Sea sein erstes Soloalbum seit vier Jahren veröffentlicht, wusste schon immer um die Anziehungskraft der Gegensätze, als er Ende der 80er Jahre als Jugendlicher in Punkbands spielte und die Noise-Eskapaden von Bands wie My Bloody Valentine für sich entdeckte.

Es dauerte allerdings bis 1994, bis Fennesz als Solokünstler seine eigene Vision von Gitarren, Noise und Elektronika ausdefiniert hatte, und auf dem für seine avantgardistischen Clicks & Cuts Releases bekannten Wiener Label Mego seine ersten Produktionen veröffentlichte. Der Rest ist Geschichte. Sein Album Endless Summer aus dem Jahr 2001 gilt inzwischen als unangefochtener Klassiker des Genres, durch das Fennesz, zu seiner eigenen Überraschung, vor allem in den USA auch im Indie-Bereich eine ungeahnte Popularität verschaffte, die sich viele Experimental-Elektroniker nur wünschen können. In den letzten Jahren konnte er eine beeindruckende Anzahl an Soundtracks, Live-Aufnahmen und Kollaborationen aufweisen, darunter Namen durchaus unterschiedlicher Charaktere wie Mike Patton, Jim O’Rourke und Ryuichi Sakamoto.

Der Noise, das ständige Hintergrundrauschen, die Statik im Sound gehörte dabei schon immer zu den zentralen Elementen von Fenneszs Musik, doch ist es weniger der reine Noise als Ausdrucksform, sondern viel mehr die Verschmelzung organischer Elemente mit digitalen Produktionstechniken, die sich mit jedem Album ändern, und auch auf dem aktuellen Werk Black Sea einer besonderen Soundidee entspringen. Möglicherweise liegt hierin das Geheimnis von Fennesz, der sich bei aller Soundtüftelei stets eine häufig versteckte, nicht immer leicht erschließbare, aber doch immer vorhandene Romantik in seinen Stücken vorbehält, die der Aura des Akademischen und Kalten, die experimentelle elektronische Musik gemeinhin umgibt, immer wieder zu entweichen weiß. Es sind Spuren von Sound, die verstreut werden, Erinnerungen an Melodien und verlorene Soundfragmente, die wieder rekonstruiert werden, und vom Hörer interpretiert werden müssen.

Wir fragten den Österreicher über Telefon in seinem Studio in Wien, was hinter diesem doch sehr speziellen Sound eigentlich steckt.

Black Sea ist dein erstes Solo-Album seit vier Jahren. Gab es einen ausschlaggebendenMoment, als du dir gedacht hast, du machst jetzt wieder ein Album?

Das ist immer ein extrem langwieriger Prozess bei mir. Es ist ja nicht so, dass ich in der Zeit untätig bin, es gibt immer mehrere kleine Projekte oder Kollaborationen, die mich am arbeiten halten. Die Soloalben müssen immer ein Statement haben, ich muss etwas dazu zu sagen haben, und das war in den letzten Jahren einfach nicht so. Ich habe immer wieder daran gearbeitet und versucht, das Ganze auf die Reihe zu bekommen, aber es war meiner Meinung nach nicht gut genug. Erst in den letzten Monaten habe ich mich wieder damit beschäftigt und das Material neu gemischt und durchforstet, und war dann eigentlich ganz zufrieden damit. Ich habe im Laufe der vielen Jahre, die ich jetzt Musik mache, auch nicht mehr diesen Druck, etwas ganz schnell releasen zu müssen. Ich komme damit besser zurecht als früher.

Heißt das, dass du auch gezielt für ein Album, für ein Statement produzierst, oder nimmst du letztendlich nur eine Auswahl von 50 Tracks und wählst die Besten aus?

Die 50 Tracks mache ich schon, die werf ich dann aber wieder alle weg (lacht). Ich muss immer wieder durch diesen gleichen Prozess gehen, das war schon immer so. Zum Glück bleibt dann die Essenz der Arbeit der letzten drei Jahre übrig, die dann nochmal neu gemischt wird und dann das Endprodukt ergibt.

Hast du in seit deinem letzten Album neue Erfahrungen gemacht, die deine Musik beeinflusst haben. Bist du gereifter?

Ich denke schon. Ich habe mich die letzten Jahren sehr mit akustischen Aufnahmen beschäftigt, mit Mikrofonpositionen im Raum, mit dem Raum an sich. Ich habe sehr viel mit Faltungshall gearbeitet, genauso mit der Physical Modeling Synthese [Klangerzeugung, bei dem Instrumente durch mathematische Modelle virtuell nachgebildet werden, Anm.], die es ja schon Ewigkeiten gibt, aber die ich erst jetzt für mich entdeckt habe und auf dem Album oft verwendet habe. Es war interessant zu sehen, wie man das reale, das analoge Instrument, mit dem künstlichen, dem digitalen Raum vermischen kann. Das war die Sounddesign-Idee hinter dem Album, und schon ein anderer Ansatz als bei meinen früheren Sachen.

Die Symbiose von analoger und digitaler Klangwelt scheint ohnehin die Basis deiner Musik zu sein, die Verwendung von Gitarren- und Pianosounds duchzieht sich durch dein Werk…

Die Gitarre war schon immer mein Instrument. Anfang und Mitte der 90er hat mich z.B. auch Techno sehr fasziniert, aber mir ist relativ schnell klar geworden, dass ich bei meine Produktionen zu dem zurück muss, das ich am besten kann, und das ist eben die Gitarre. Noch heute kommen ca. 80% der Basic-Sounds von Gitarrenaufnahmen meinerseits. Diese Beschränkung war auch sehr gesund, sonst hätte ich mich vermutlich verzettelt. Ich habe auch schon rein digitale Musik produziert, die trotzdem einen starken organischen Halt hatte. Ich bin ständig auf der Suche nach neuen Technologien und Plugins, aber die Gitarre bleibt immer der Anker, der mich immer wieder zurückholt. Es gibt immer eine Meta-Ebene, eine Intention dahinter. Es kommt nicht auf die Produktionsmittel oder den Produktionsprozess an, sondern darauf, ob man eine gewisse Magie entwickeln kann, die darüber steht.

Man sagt ja immer, dass sich hinter dem Rauschen deiner Musik immer noch eine weitaus tiefere Ebene verbirgt, die sich erst erarbeitet werden muss. Ist das die Meta-Ebene, von der du sprichst?

Absolut. Das hat mich schon immer fasziniert, die Spuren von Sound, die verstreut werden, an Erinnerungen, an Melodien, verlorene Soundfragmente, die wieder rekonstruiert werden, und die ich gerne verstecke innerhalb der Musik.


Und der Anspruch an den Hörer ist es, diese Spuren dann wieder zu rekonstruieren?

Rekonstruieren ja, und natürlich etwas eigenes hinzuzufügen. Persönliche Erfahrung oder Erinnerungen damit verknüpfen, das wäre das optimale Beziehung zwischen Hörer und Produzent.

 

„Die Unregelmäßigkeit interessiert mich, und daraus etwas Schönes zu schaffen ist die Herausforderung. „

 

Wann bist du überhaupt dazu gekommen, dieses Rauschen als aktive Komponente einzusetzen?

Das war schon ganz früh. Ich habe als Jugendlicher in Punkbands gespielt, und ich war fasziniert davon, wenn es laut wurde, wenn dieser Noise überhand nahm. Und ich war auch Fan der ganzen Noise-Rock-Bands wie My Bloody Valentine und Sonic Youth. Ich mag einfach diese Energie davon, es ist eine Ästhetik, die nicht jeder will, aber auch nicht jeder kann. Viele haben das früher versucht, und viele sind danach auch zur elektronischen Musik übergegangen. Was alle gemeinsam haben, ist die Faszination von neuen Produktionstechniken, um diesen Sound noch intensiver zu machen. Die Vision war eine völlig neue Klangwelt, die ihren Ursprung in der Gitarrenmusik hatte, und die Durchführung in der Elektronik fand. So war das auch bei mir.

Diese „Wärme im Digitalen“, woher nimmst du die?

Ich tue mich immer sehr schwer mit diesen kalt-warm Bezügen. Ich verwende lieber Farben um das zu beschreiben. Etwas, das für viele Leute digital oder kalt klingt, kann für mich extrem warm sein, d.h. in Braun- oder Rot-Tönen klingen. Ich habe ein altes Paar Stereofunken Pre-Amps, durch die schicke ich alles durch was ich mache, und angeblich klingt dadurch alles wärmer. Ich bin auch sehr verhaftet mit der Popmusik der 70er und 80er Jahre, was immer noch ein großer Einfluss ist. Man sagt ja generell, die Sachen von damals klingen wärmer. Von meinem Endless Summer Album habe ich oft gehört, dass es um einiges ‚poppiger‘ klingt als das Neue. Ich finde es auch interessant, wie meine Musik in den USA gerade auch im Indie-Bereich diskutiert wird, was im deutschsprachigen Raum überhaupt nicht der Fall ist. Und auch wenn meine Musik sicherlich keine Pop-Musik ist, so gibt es doch immer wieder diese Spuren davon, gewisse Harmonien, Akkordfolgen, die daran erinnern könnten. Vielleicht hat es auch damit zu tun, dass ich ein sehr eigenartiges Gefühl für Timing und Rhythmus habe, dass ich Dinge dehne und an zeitlichen Punkten einbringe, die unerwartet sind. Viele erwarten ja von digitaler Musik immer etwas sehr glattes, mathematisches.
Vielleicht wird das dadurch aufgebrochen.

Viele sehen ja auch gerade die Schönheit im Chaos…

Ja, das stimmt. Ich mag es auch, wenn etwas nicht zu perfekt klingt, die Schönheit im Aalglatten kann ich nicht finden. Die Unregelmäßigkeit interessiert mich, und daraus etwas Schönes und Erhabenes zu schaffen ist die Herausforderung.

Das klingt auch ein wenig romantisch…

Ich denke schon, dass es eine starke emotionale und auch romantische Komponente in meiner Musik gibt. Das hat auf jeden Fall wieder mit der Pop-Musik zu tun…

Du hast von Farben gesprochen, um Stimmungen zu beschreiben. Wie würdest du die Stimmung des neuen Albums beschreiben, gerade im Hinblick auf Titel und Coverart. Bei „Venice“ war es noch Sonnenschein und blaues Meer auf dem Cover, jetzt grauer Winter…

Es scheint offensichtlich wirklich düsterer zu klingen als ich vorher gedacht habe. In Farben gesprochen ist es wohl doch eher gräulich. Auch sind die Tracks länger als früher, was von vornerein immer sehr E-Musik mäßig wirkt, sehr schwer. Aber ich sehe es nicht als durchgehend dunkel, es gibt schon sehr erhellende Momente. Aber nun gut, wenn es denn als mein „düsteres Album“ verstanden wird, dann ist das ok für mich. Auf das Artwork habe ich wenig Einfluss, aber ich arbeite mit Jon Wozencroft schon seit Jahren zusammen und vertraue ihm blind. Aber er reagiert in der Regel schon sehr auf die Musik und hört die Sachen auch vorher.

Du hast schon mehrere Kollaborationen gemacht. Wie beeinflusst die Arbeit mit anderen Musikern deine Soloarbeit?

Das beeinflusst mich natürlich, und ich lerne auch von den Leute, die ja alle sehr unterschiedlich sind. Aber bei meinen Solosachen kann ich mehr ausprobieren, da traue ich mich auch mehr. Meine ganze Arbeit ist eine Entwicklung, die 1995 angefangen hat und jetzt eben bei Black Sea angekommen ist. Alles, was in der Zwischenzeit von außen herankam ist da natürlich mit eingeflossen.

Trotzdem sind auf dem neuen Album auch wieder zwei Kollaborationen vorhanden. War das dann Zufall?

Anthony Pateras war vor einigen Jahren hier in Wien im Studio und hat auch live gespielt. Ich fand das total super und habe ihn gefragt, ob er nicht einige Aufnahmen mit mir machen möchte. Das war schon 2004, und die Aufnahmen waren fantastisch, aber ich wusste damals noch nicht, wie ich das mit meinen eigenen Produktionen verbinden kann. Erst ganz zum Schluss, beim Mischen des neuen Albums habe ich die Aufnahmen mal wieder gehört und gedacht, dass es doch ziemlich gut passt, auch wenn die Stimmungen recht unterschiedlich sind. Die Zusammenarbeit mit Rosy Parlane kam völlig anders. Das war ein Live-Mitschnitt aus Paris im letzten Jahr, den wir anschließend weiter bearbeitet haben. Die ganzen Streicher, Gitarren und Bass sind im Studio entstanden, aber der Basic-Track ist eine Live-Aufnahme.

Arbeitest du oft damit, Live-Aufnahmen nachträglich zu bearbeiten?

Es kommt vor, aber wirklich sehr selten. Auf den Soloalben war das jetzt ein Novum.

Hast du dir keine Pause gegönnt, nachdem das Album fertig war?

Ein paar Wochen nach der Vollendung des Albums war ich doch eher faul, und habe das auch dringend benötigt. Jetzt arbeite ich an einem neuen Filmprojekt für Gustav Deutsch, mit dem ich früher schon zusammengearbeit habe, und außerdem noch einer japanischen Science-Fiction-Produktion. Momentan geht es aber nur darum, Ideen zu sammeln und etwas Sounddesign zu machen, noch nichts konkretes. Ich habe schon immer mal wieder Soundtracks gemacht, früher vor allem um Geld zu verdienen, aber inzwischen kann ich mit super interessanten Leuten zusammenarbeiten, und es ist eine schöne Abwechslung.

Wie schaut es mit weiteren Zusammenarbeit mit Sänger/innen aus?

Ich habe gerade mit Sparklehorse zusammengearbeitet für die „In the Fishtank“ Serie des holländischen Konkurrent Labels, bei dem zwei Acts für zwei Tage ins Studio gehen und miteinander arbeiten. Wir haben das im letzten Winter in Amsterdam gemacht, und es war wirklich spannend und neu für mich, komplette Songs innerhalb von zwei Tagen zu komponieren. Ich denke auch, dass ich nochmal etwas mit David Sylvain und Mike Patton machen werde.

Du hast die klassischen Songstrukturen also nicht hinter dir gelassen?

Ich komme gern wieder drauf zurück, wenn denn der Zeitpunkt stimmt.

Teile dieses Interviews sind in der De:Bug #129 erschienen.

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