Feature: Break SL + Tim Toh

Geschichte wiederholt sich vielleicht nicht, aber sie baut aufeinander auf, reflektiert sich selbst und schreibt sich immer wieder neu. Und wo lässt sich das besser dokumentieren als in der Geschichte von House, das ja ohnehin schon immer mehr Gefühl als bloße Aussage war, und gerade in den letzten Jahren wieder aktueller denn je ist. So hat der Diskurs House in letzter Zeit nicht nur eine Rückbesinnung auf seinen Ursprung erfahren, sondern im gleichen Moment auch wieder eine Generation neuer Produzenten auf den Plan gerufen, die sich den Einflüssen nicht nur annehmen, sondern sie auch transformieren. Zu sehen ist diese Entwicklung auch im Mikrokosmos von Philpot, dem Label um Michel Baumann, besser bekannt als Soulphiction und Jackmate, und Tobias Ettle, das seit seiner Gründung im Jahr 2000 schon immer an einem ganz besonderen Sound zwischen House, Jazz und Funk gearbeitet hat. Nach Releases von vermeintlich alten Hasen wie u.a. Move D, Manmadescience und DJ Koze, setzt man auf Philpot allerdings seit dem letzten Jahr vermehrt auf die Jugend, und reichert den Diskurs House damit wieder mit neuen Inhalten an. Eine ganz logische Entwicklung, findet auch Labelchef Soulphiction: „Neue Talente sind heute wichtiger als je zuvor, alleine um mal etwas frischen Wind in die Clubs zu bringen! Außerdem scheint die neue Konkurrenz die „Alten“ ordentlich zu motivieren, sich mal wieder richtig Mühe zu geben, das merke ich ja schon bei mir selbst.”

Der frische Wind von dem er spricht kommt bei Philpot in personifizierter Form zweier Produzenten daher: Sebastian Lohse aka Break SL und Tim Toh. Obwohl beide aus unterschiedlichen Ecken der Republik kommen, Break SL aus Dresden und Tim Toh aus der Nähe von Stuttgart, scheinen sich die Eckdaten doch zu überschneiden: Beide sind Anfang 20, beide haben auf Philpot ihre ersten Platten veröffentlicht und beide haben eine ganz eigene Auffassung von House, deren Ursprung es auf den Grund zu gehen gilt. Denn Fakt ist, daß sich der Generationenwechsel inzwischen endgültig vollzogen hat, und es nun auch den jungen Produzenten liegt, das so oft zitierte „Feeling“ von House fortzuführen. Auf Philpot ist dieser Sprung offensichtlich gelungen. „Es ist ein ganz schöner Anspruch an junge Artists, mittlerweile einen eigenständigen Sound zu finden,“ erzählt Soulphiction, und lobt seine Sprösslinge im gleichen Atemzug: „Tim und Sebastian sind sehr seriös im Umgang mit Musik und haben dabei einen individuellen und persönlichen Sound. Das ist bei uns immer noch ein entscheidendes Kriterium, und damit haben die beiden schon mal einen großen Vorsprung innerhalb ihrer Generation.“ Doch wie stehen die beiden Protagonisten selbst dazu? Wir haben nachgefragt.

Zum Anfang: sagt uns doch kurz woher ihr kommt, und wie ihr mit elektronischer Musik in Kontakt gekommen seid.

BSL: Aufgewachsen bin ich in Westsachsen. Als Kind fand ich immer Sachen ohne oder mit wenig Gesang sehr spannend. Elektronische Musik spielt daher schon lang eine wichtige Rolle für mich. Ende der Neunziger wollte meine Mutter unbedingt mal auf die Loveparade. Das war meine erste richtige Berührung mit Techno. Für mich damals ein ziemlich geniales Erlebnis, weil es so pur und energetisch war. Da es in meiner Region kaum hochwertiges Programm in dieser Richtung zu erleben gab, war ich so oft es mein schmales Budget zuließ in Berlin, Leipzig und Dresden unterwegs und hab mich in Clubs reingemogelt und mein Geld in Plattenläden gelassen. Später kamen dann zwei Plattenspieler hinzu und gemeinsam mit einem Kumpel versuchten wir dann auch ab und an, durch Parties, diese Musik bei uns zu etablieren. Mit eher bescheidenem Erfolg… Aufgrund meines Studiums zog ich dann 2004 nach Dresden, wo ich schnell mehr und mehr Gleichgesinnte fand.

TT: Meine Familie hat einen engen Bezug zu Kunst und Kultur. Alle sammeln leidenschaftlich Musik und sind in irgendeiner Form musikalisch tätig. Ich habe schon in jungen Jahren die alten Disco-, Electro- und Breakbeat-Kasette und Schallplatten meiner Eltern gehört. Meine Mutter studierte Ethnologie und hatte schon immer einen Hang zu Ethnomusik oder psychedelischen Sachen. Mein Vater brachte damals von einer Reise Synthesizer-Musik, Jungle-Beat-Tapes und andere Dance Musik mit.

Seit wann seid ihr als Produzenten tätig?

TT: Noch nicht so lange. Bin ja noch ziemlich jung… (lacht)

BSL: Meine ersten Produktionsversuche hab ich vor fünf Jahren mittels Reason gemacht. Wirklich ernsthaft mach ich seit knapp drei Jahren Musik. Im laufe der Zeit hat sich meine Produktionsweise durch das Dazukommen von einer Menge Hardware stark geändert. Mittlerweile haben wir ein kleines, hübsches Studio im Herzen Dresdens eingerichtet, welches ich mit meinen beiden Freunden René und Clarence betreibe.

Sebastian, du kommst aus Dresden. Wie siehst du die Techno- und Houseszene dort?

BSL: Dresden ist von Hause aus eine sehr entspannte Stadt, man fühlt sich nicht unbedingt wie in einer Großstadt, was ich persönlich aber als sehr angenehm empfinde. Wir haben folglich also keine weltberühmten Clubs vorzuweisen. Dennoch gibt es zahlreiche kleine Läden, die ein weites musikalisches Spektrum bieten. Hervorzuheben ist dabei die Galerie Disko, die seit vielen Jahren die Speerspitz der Dresdner Elektronikszene bildet. Hier haben schon etliche hochkarätige Künstler aus der ganzen Welt gespielt, was mich persönlich auch sehr geprägt hat. In Dresden gibt es darüber hinaus mit Fat Fender, Backstock Records und Sugarhill Records drei richtig gute Plattenläden, die nicht nur die heißesten aktuellen Scheiben anbieten, sondern auch durch Ihr Wissen uns Jüngeren noch ne Menge beibringen.

Wie kam es zu dem Kontakt mit Philpot?

BSL: Der Kontakt entstand recht unspektakulär via Internet. Ich hab Michel Stücke geschickt und kurz darauf schrieb er mir, dass er „Trombone“ sehr schön findet und ob ich noch mehr davon hätte, und vielleicht Lust hätte, auf Philpot zu veröffentlichen. Kurz darauf besuchte ich ihn in der Distillery in Leipzig und gab ihm noch eine CD, mit neuen Stücken, die ich angespornt durch dieses Angebot in den Tagen darauf gemacht hatte. Hierbei gefiel ihm Flow besonders gut und die EP war fertig. Für mich war und ist dies nach wie vor eine große Ehre, denn Philpot ist für mich eines der besten Labels für anspruchsvolle Musik weltweit.

TT: Das war bei mir ähnlich. Ich hab ein paar Sachen gemacht und die zu Philpot geschickt. Ich war von deren Reaktion total überrascht und habe lange gebraucht, es zu glauben. Der Jackmate bringt ne Platte von mir raus! Ich musste lange Zeit realisieren, dass ich wirklich die Chance bekommen habe in absehbarer Zeit meine Musik auf einem Tonträger in den Händen zu halten. Und dann sogar noch auf Philpot! Das war und ist für mich wie ein Traum, mit dem ich nie gerechnet hätte…

Eines der Merkmale von Philpot ist sicherlich der Bezug zur alten Detroit- und Chicago-Schule. Seht ihr hierin auch eure persönlichen Einflüsse?

TT: Ganz klar, das ist richtig. Der Name Philpot verweist aber auch auf Larry Levan und New York Disco. Ich denke, dass ist auch ein wichtiger Bezugspunkt, sowohl für das Label als auch für mich. Die Intention liegt im Wesentlichen darin, neue Dinge zu kreieren und einen Mix aus all den Sachen zusammen zu bringen, die einen beeinflusst haben und die man liebt. Das Genre, die Stadt, oder das Land spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Selbstverständlich gibt es aus diesem Bereich starke Impulse, die sich auch in meinen Sachen wiederfinden. Vielleicht die Rhythmik, oder eine Stimmung? Ich möchte mich aber nicht darauf festlegen, da ich mir viele Inspirationen auch aus anderen Bereichen nehme…

BSL: Die Einflüsse von Philpot reichen meiner Meinung nach aber ach weiter als nur bis in den mittleren Westen der USA. Afrobeat, Funk, Hip Hop, Jazz, Soul und viele andere schöne Spielarten spielen mindestens eine genauso wichtige Rolle wie Techno und House. Ich finde bei dem Label treffen sich sehr viele Einflüsse und jeder Künstler bringt da seine eigene Note mit ein. Man lernt ständig von einander. Tim brachte mich damals beispielsweise auf die Musik von Fela Kuti, Michel brachte mir Harry Partch näher und durch Tobi lernte ich die Musik von Gil Scott Heron kennen. In dieser Vielfalt und in einer Klangästhetik, die sich aus all diesen Einflüssen speist, sehe ich den größten Nenner aller Leute bei Philpot.

Also hat der Kontakt mit Philpot und Michel auch euch als Produzenten beeinflusst?

BSL: Als ich das erste Mal Tobi traf hat er mich darin bestärkt, an mich und meine Musik zu glauben und daran weiterzuarbeiten. Das war ein sehr wichtiger Moment für mich, weil ich zu dieser Zeit, bedingt durch mein Architektur-Studium, vor einer Entscheidung stand: entweder das Eine oder das Andere. Beides mit gleicher Ernsthaftigkeit zu verfolgen war für mich unmöglich. Also entschied ich mich. Demnächst möchte ich deshalb auch ein Toningenieursstudium anfangen um noch tiefer in die Musik einzutauchen und vielleicht auch bald selbst die von mir so geliebten Soundmaschinen zu bauen. Michel als gestandener Musiker gibt mir ständig nützliche Tips rund ums Produzieren. Der persönliche Austausch spielt also eine sehr wichtige Rolle, hin und wieder treffen wir uns auch zu gemeinsamen Sessions, so ist ja auch das Intro fürs Album entstanden, welches von Michel und mir kommt. Auch Tim und ich jammen ab und an herum.

TT: Als ich angefangen habe Platten zu sammlen, ist mir damals ein Soulphiction Stück („Bust me“ auf Perlon) in die Hände gekommen, mit dessen Gefühl ich mich sehr stark identifizieren konnte. Die größte Inspiration von Michels und Tobi s Seite war aber deren Zuspruch. Es war und ist für mich das schönste, wenn ich es schaffe sie mit etwas neuem zu überraschen. Fast alle bisherigen veröffentlcihten Stücke sind allerdings vor unserer Bekanntschaft entstanden.

Ihr seid ja in der Tat beide noch recht jung. Man hört öfters von älteren Produzenten, dass die junge Generation einen ganz anderen Begriff von House hat. Wie stehst ihr dazu, und was bedeutet für euch der Begriff „House“ eigentlich?

BSL: Das Hauptproblem der jungen und alten Generation liegt meiner Meinung nach darin, dass die „alten Hasen“ mit verschiedensten Musikrichtungen sozialisiert worden sind. Viele jüngere Produzenten schauen meiner Meinung nach zu wenig über den elektronischen Tellerrand hinaus, deshalb klingt halt auch vieles so beliebig und ähnlich, weil sich alles immer wieder selber recycelt. Oft erlebe ich im Plattenladen, dass Leute gute Tips einfach in den Wind schlagen, von wegen „kann man nicht spielen; kenn ich nicht; ist mir zu alt etc“, dann denk ich mir „wenn ihr wüsstet!“ Diese Denkweise ist meiner Ansicht nach viel zu kurzsichtig und rächt sich irgendwann. Persönlich glaube ich nicht wirklich an neue große Würfe in Sachen neuer Genres, ich lasse mich aber gegebenenfalls gern eines Besseren belehren. In der Verschmelzung verschiedenster Richtungen sehe ich das größte Potenzial, auch gerade für House und elektronische Musik im Allgemeinen, gerade mit den vielen, erschwinglich gewordenen, Mitteln von heute. Es liegt also an uns, ob unsere Musik auch in vielen Jahren noch gemacht wird und Bestand hat, oder ob wir nur eine mittelfristige Erscheinung in der Musikgeschichte waren. Der Begriff „House“ bedeutet für mich dabei persönlich eine sehr pure, teilweise naive, emotionale Musik, die für neues offen ist und war und immer sein sollte.

TT: Ganz bestimmt habe ich eine andere Wahrnehmung, als jemand, der die Anfänge dieses Genres mitbekommen hat. Ich kenne und liebe ein paar von den alten Sachen. Eine Tatsache ist halt, dass ein Stück aus 2002 mehr Erinnerungen in mir weckt, als eines aus dem Jahre 1984 – da war ich ja erst in Planung! Veröffentlichungen aus dieser Zeit waren nun mal für mich relevanter, da ich durch diese erst die Verbindung zu dieser Musik gefunden habe. Es gibt ja auch viele junge Menschen die sich einfach nicht die Zeit nehmen, um sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen und lassen sich dann was von den Medien vorkauen und nehmen es an, ohne es zu hinterfragen. Das Grundprinzip von House basiert auf Hedonismus in seiner, für mich, reinsten Form. Es hat sich da auch nicht viel verändert. Natürlich gibt es hin und wieder Leute, die es in einen anderen Kontext bringen, doch wahre House-Musik soll mich einfach nur Glücklich machen und zum Tanzen bringen. Ich glaube, das Alter ist bei Musik trotzdem nicht so wichtig, eher die Umsetzung des ganzen. Wenn ich mich hinsetze und mich dafür entscheide einen House Track zu machen, dann tue ich es, weil es mir ein gutes Gefühl gibt. In den Anfängen von House hatten Leute wie z.B. Larry Heard ganz andere musikalische Vorbilder und Lehrer als wir. Und zu dieser Zeit gab es ein anderes Lebensgefühl als wir es heute haben und dies wurde von denen in eine musikalische Form gebracht. Nun kann ich versuchen das Gefühl dieser Zeit neu zu rekonstruieren, oder es kann mir absolut egal sein und ich versuche einfach meine eigenen Emotionen in ein Stück zu bringen und erreiche dadurch etwas, dass vom gewohnten Schema total abweicht.

Gerade in den letzten Jahren hat House und vor allem Deephouse wieder einen regelrechten Aufschwung erfahren. Das liegt auch daran, dass viele junge Producer diesen Sound wieder aufgreifen und neue Impulse setzen. Seht ihr euch als Teil einer neuen „House-Bewegung“?

BSL: Für mich war House nie wirklich weg. Aber gerade der neuerliche „Aufschwung“ zeigt ja, dass noch lange nicht alles gesagt wurde. Nun bleibt es abzuwarten, ob wir alle kreativ und wachsam genug bleiben, um House frisch zu halten, so dass House nicht wieder ein kleines Ruhepäuschen einlegt. Neue „House-Bewegung“ hin oder her, es kommen immer wieder neue Leute hinzu und andere gehen, aber die Idee bleibt die gleiche und diese Idee ist eine gute, dabei spielt es keine Rolle ob nun jemand 20 oder 50 ist oder ob man aus Michigan oder sonst woher kommt, so lang die Musik gut ist. Wie heißt es doch so schön „House is a feeling…“, so lang man dieses Gefühl hat, ist alles super. Dies ist ja auch eine weitere positive Eigenschaft dieser Musik, dass sie so intuitiv ist und keines speziellen Studiums bedarf, vieles erschließt sich im Laufe der Zeit einfach selbst.

TT: Ich habe schon immer eine starke Affinität zu House besessen und ich denke, bei so vielen Subgenres die es heutzutage gibt, fällt es einem schwer zu sagen, ob man in diesem Fall von einer ganzheitlichen Bewegung sprechen kann? Ich glaube House wird einfach von vielen zu unterschiedlich definiert, doch ich bin überaus gespannt, was unsere Generation in den nächsten Jahren erreichen wird! Im Prinzip ist es eigentlich immer das Gleiche, die alten legen vor und die jungen ziehen nach und machen was Neues daraus.


Wo seht ihr die Überschneidung von deiner Musik und der Philosophie von Philpot als Label? Glaubt ihr, dass ihr auf Philpot Musik veröffentlichen kannst, die auf anderen Labels vielleicht in dieser Form nicht möglich wäre?

TT: Zuallererst muss ich erwähnen, dass ich Philpot als ein Musiklabel aus Deutschland verstehe, dass einfach „Eier“ hat und einen anderen Weg geht als andere. Es klingt ein bisschen Außenseitermäßig, aber das ist doch auch ein Grund, warum man sich eine bestimmte Musik anhört. Oder nicht? Und sehr wahrscheinlich hätte ich zu dem Zeitpunkt wirklich kein Label gefunden, dass sich getraut hätte, die Sachen rauszubringen und die haben es einfach gemacht. Die positive Resonanz die ich erfahren und die Freunde die ich dadurch gewonnen habe, dafür bin ich Ihnen besonders dankbar.

BSL: Ich denke alle bei Philpot haben ähnliche Ansätze und befruchten sich gegenseitig, durch verschiedenste Einflüsse, musikalisch. Da bei Philpot das Funktionelle stets dem Musikalischen untergeordnet ist, glaube ich schon das ich mich hier musikalisch mehr entfalten kann, als bei Labels, denen es primär ums Verkaufen und den damit verbundenen Funktionalitätskompromissen, geht. Allerdings habe ich bisher auch noch nicht mit anderen Labels ernsthaft zusammengearbeitet, möchte hiermit also niemanden diskreditieren. Schön finde ich, dass Tobi und Michel musikalisch immer hinter einem stehen und man solche Sätze wie „kannste das vielleicht mal anders machen oder die Passage länger oder kürzer“ etc. nicht zu hören bekommt.

 

„Es gibt viele junge Menschen, die sich einfach nicht die Zeit nehmen, um sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen”

 

Was auffällt, ist dass es bei Philpot immer wieder Platten gibt, die gar nicht primär auf den Dancefloor ausgerichtet sind, sondern auch sehr stark die Listening-Seite betonen. Wie wichtig findet ihr es, dass es eben nicht immer nur 4/4 und tanzbar sein muss?

TT: Ich glaube, ob etwas tanzbar ist oder nicht, hängt vom Hörer ab. Ich habe Leute auf ziemlich schräger Musik tanzen sehen, die mich keineswegs dazu animiert hätte mitzumachen! (lacht) Wichtig ist, dass sich Musikstile weiterentwickeln und Kreativität braucht seinen Freiraum, daher beschränke ich mich nicht auf ein Schema. Ich möchte aber beides machen, sei es jetzt Heavy Listening oder four to the floor Kram. Ich bin glücklich, dass Philpot mir die Möglichkeit gegeben hat, auch diese Seite offenbaren zu können.

BSL: Musik ist ja primär eine Sache für die Seele und nicht immer ist man in der Stimmung für Dancefloor Musik. Auch das macht ein gutes Label aus, dass es vielseitig ist und sowohl Musik macht die im Clubkontext passt aber auch zu Hause mit Freunden oder bei einem Glas Wein genossen werden kann. Musik für Genießer.

Sebastian, dein erstes Album erscheint gerade, obwohl du erst zwei EPs zuvor herausgebracht hast, was, im Vergleich doch relativ ungewöhnlich ist. Wie siehst du die Sache? Hattest du schon länger ein Album-Konzept in Planung und hast dich daher entschlossen, doch so frühzeitig eine LP zu machen?

BSL: Im Laufe der Zeit sind bei mir eine Menge Stücke zusammengekommen, deren Bandbreite recht groß ist, welche aber auf einer einzelnen EP vielleicht nicht wirklich gepasst hätten. Deshalb fragte mich Michel recht früh, ob ich mir nicht auch ein Album vorstellen könnte. Daher kann man nicht wirklich von einem Konzept-Album sprechen, sondern eher von einer Retrospektive der letzten beiden Jahre.

Dein Album heißt „City Wasteland“…nicht unbedingt der fröhlichste Titel. Steckt da ein bestimmtes Konzept dahinter? Deine Musik ist ja nicht wirklich als düster zu beschreiben, oder?

BSL: Friedrichstadt, so heißt der Stadtteil indem ich wohne und wo sich auch unser Studio befindet, ist nicht wirklich der schönste Fleck Dresdens. Es gab mal eine Kunstaktion die sich all der verfallenen und leerstehenden Häuser und Brachen, die teilweise seit dem Krieg so geblieben sind widmete. Eines der Brachen trägt den Schriftzug „Citywasteland“, dieser Schriftzug begleitet mich bei jedem Weg hin zum Studio und hat mich schon immer sehr beeindruckt. Gerade in einer Stadt wie Dresden, die seit der Wende alles dafür tut, in der Innenstadt zu wirken wie Disney-Land und sich damit seiner jüngeren Vergangenheit komplett entledigt. Keine zwei Kilometer von der Frauenkirche entfernt, einen solchen, scheinbar vergessenes Wasteland zu finden, dies finde ich sehr spannend. Viele Eindrücke aus dem Stadtleben haben das Album beeinflusst und somit sind fröhliche und lockere Stücke wie „My love is for u“ genauso dabei wie nachdenkliche Stücke wie „Searching“, düstere Momente spielen für mich, wenn sie auch nicht auf Anhieb zu hören sind immer eine wichtige, oft auch inspirierende Rolle.

Du machst einen ziemlichen Rundumschlag auf dem Album – gibt es einen roten Faden, der sich durch das Album zieht?

BSL: Wie schon gesagt, ist dies kein klassisches Konzept-Album. Die Musik entstand aus vielen Momenten heraus. Als gemeinsamen Nenner sehe ich meine Arbeitsweise, ins Studio zu gehen und nicht zu Wissen wohin es diesmal geht. Dabei bin ich nicht wirklich auf eine bestimmte Richtung fixiert, es entsteht viel aus der Situation heraus. Ich bin kein Typ dafür immer wieder in die gleiche Kerbe zu hauen, so dass ein Stücke klingt wie das andere. Das langweilt mich schnell; dies ging mir aber am Anfang teilweise so, als ich rein computerbasiert Musik gemacht haben. Nun interagier ich viel mit Maschinen und die machen genauso wie ich, ab und an, Fehler, die einen manchmal zu ganz neuen Ideen bringen. Diese Momente gilt es festzuhalten.

Du singst auch auf einem Track selbst, was ja auch nicht oft vorkommt…

BSL: Ab und zu gibt mir Pierre, der Jazz-Saxophonist vom Studio gegenüber, ein wenig Nachhilfe in musiktheoretischen Sachen, im Gegenzug zeige ich ihm paar Tricks an Synthies, was er sehr spannend und lustig findet. Nach solch einer Stunde bin ich beim „üben“ auf dem Akkord, welcher das Grundgerüst zu „My Love is for U“ bildet, hängengeblieben. Das schrie einfach nach einer Stimme, also hab ich versucht was drüber zu singen. Zufällig besuchte mich an diesem Tag meine Freundin im Studio und wir haben gemeinsam zum Mikro gegriffen. Dabei kam eben dieser Track zustande. Sehr wahrhaftig, emotional und naiv, House eben.

Tim, mein Kollege Bleed hat deine erste Platte im Review als „gewagt“ bezeichnet. Versucht du auch bewusst, aus diesen bekannten Formeln auszubrechen, oder ergibt sich das einfach so?

TT: In einem Praktikumszeugnis stand mal: Tim besitzt die positive Eigenschaft Dinge Unbefangen anzupacken. Mal mehr, mal weniger. Natürlich probier ich immer was Neues aus. Sonst wirds ja langweilig. Meine Herangehensweise ist wahrscheinlich auch noch etwas spielerischer und richtet sich nicht unbedingt nach einer Vorgabe. Das kann ich immer noch machen. Es wird dann aber schnell uninteressant. Ich würde sagen: reines Spaßprinzip!

Welche Elemente siehst du als integralen Bestandteil in deiner Musik? Was macht eine typische Tim Toh Platte aus? Wie gehst du an einen Track heran?

TT: Der Groove ist ein wichtiges Element, dem ich sehr viel Aufmerksamkeit schenke. Themenwechsel in einem Stück, die überraschend und dennoch in sich stimmig klingen und das Erfinden einer besonderen Stimmung sehe ich als weitere Charakteristik. Ich lasse mich auch gerne von anderen Musikrichtungen inspirieren. Sei es jetzt Vietnamesischer Synthie-Funk, oder Folklore-Electro aus dem Iran, da gibt es keine Grenzen.

Join the Resistance heißt die Trilogie. Spielst du damit auf einen bestimmten Widerstand an? Gerade House hatte früher ja auch eine durchaus politische und kritische Seite, die heute oft vergessen wird…

TT: Hm, mir fällt gerade nur UR ein und die machen ja eher Techno. Bei „Join the Resistance“ geht es in erster Linie um Zugehörigkeit und Zusammenhalt und die Musik hat es für mich auf einen Nenner gebracht. Diese Thematik hat mich auch zu dem Zeitpunkt sehr Beschäftigt. Ich würde sagen, dass es sehr persönliche Stücke sind, die man wahrscheinlich nicht unbedingt nochmal in dieser Form von mir hören wird. Es war halt das Lebensgefühl zu dieser Zeit…

Zum Abschluss: wie schauen eure weiteren Pläne aus für dieses Jahr?

BSL: Wie oben teilweise schon angesprochen arbeite ich gerade viel mit Leuten wie Tim Toh, Tiny, Credit00, Bronco Teddy, Max Rademann, Jacob Korn und zahlreichen anderen zusammen. Da wird demnächst noch einiges kommen. Momentan arbeite ich auch an Remixen, einer davon erscheint Im Juni auf Wildtrackin (Original von: Paskal-Flashdance). Im September erscheint dann ja der zweite Teil des Albums bei Philpot auf Vinyl, hierbei wird es wieder einen Vinyl-exclusive Track geben. Eine weitere Platte auf Philpot ist gerade in Planung. Momentan stellt Tiny gerade eine Dresden-Compilation für K-Souls Label Kinda Soul Recordings zusammen, auf der auch Stücke unserer gemeinsamen Arbeit sein werden.

TT: Es gibt in der Tat einen Austausch zwischen Sebastian und mir. Dann bin ich gerade an der Vollendung eines Remixes für Manuel Tur und Dplays Label Mild Pitch dran und Millions of Moments hat ein neues Stück besonders gefallen. 2010 kann man evtl. schon mit einem Album auf Philpot rechnen.

Teile dieses Interviews sind in der De:Bug erschienen.

5 Comments

  1. Sascha

    Toller Artikel in der De:Bug und noch besser hier die ausführliche Version zu lesen. DIe Pläne der beiden klingen super und lassen auf großes hoffen, besonders die Dresden-Compilation. Die neue von Jacob Korn auf Running Back wird/ist ja auch großartig … da geht so einiges.

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