Feature: Best of 2009

2009. Wo ist dieses Jahr eigentlich so schnell hingegangen? Ein Jahr, das nicht immer das war, was ich mir persönlich erhofft hätte, und auch musikalisch war es, wie ich schon an anderer Stelle geschrieben habe, etwas schwierig. Zum einen habe ich in der Summe deutlich weniger Musik gehört als noch in den Jahren zuvor, zum anderen hatte ich oft das Gefühl, immer etwas hintendran zu sein was die „Trends“ angeht. Aber auch gerade wenn man von Musik spricht ist es nicht schlecht, wenn man sich auch die Zeitlosigkeit jener regelmäßig ins Gedächtnis ruft, und eben nicht jeder Platte sofort nach der Veröffentlichung nachrennt. Entschleunigung ist hier das Stichwort, und gerade in Zeiten des sich immer schneller drehenden Internets auch ein Vorsatz für das kommende Jahr.

Schwierig ist es allerdings auch, die musikalischen Trends des vergangenen Jahres zusammenzufassen. Denn in dieser Hinsicht war 2009 ein seltsam stagnierendes Jahr, das kaum wirkliche Innovationen bereithielt. Noch letztes Jahr habe ich vom Deephouse-Revival gesprochen, das sich auch in diesem Jahr fortgesetzt hat, auch wenn sich mir immer öfters die Frage gestellt hat, was denn eigentlich wirklich deep ist, wenn angeblich alles ach-so-deep ist. In der Tat wurde mit dem Begriff des deepen etwas fahrlässig umgegangen, was möglicherweise aber auch daran liegt, dass sich viele Produktionen zunehmend der klassischen House-Techno Dichotomie entziehen. Überhaupt fällt die Kategorisierung immer schwerer: kann man die Musik von Darkstar oder Guido beispielsweise noch als Dubstep bezeichnen, oder wird es Zeit für eine neue Begrifflichkeit? Popstep vielleicht? Gerade in diesem Crossover-Appeal hat sich einiges getan in diesem Jahr, da sich Genre-Klassifizierungen zusehend aufspalten. Also doch so etwas wie ein kleiner Trend.

Vielleicht nur eine persönliche Sache, aber gerade (Dark) Ambient und Modern Classical liefen bei mir in diesem Jahr häufiger durch die Kopfhörer als noch in den Jahren zuvor. Egal ob luftig-befreiend wie bei Bvdub, düster-beklemmend wie bei Svarte Greiner oder klassisch angehaucht wie bei William Basinski – schon lange gab es nicht mehr so viele interessanten Platten abseits von Kickdrums und HiHats.

Gerade im Techno- Und Housebereich haben sich einmal mehr die vielen kleinen Labels ausgezeichnet und den Platzhirschen (gerade Kompakt hatte ein extrem schwaches Jahr wie ich finde) die Stirn gezeigt. Wo im letzten Jahr noch Quintessentials und Workshop sich einen Namen gemacht haben, waren es in diesem Jahr vor allem Imprints wie Frozen Border, Running Back Sandwell District und Underground Quality, die für die ein oder andere Überraschung sorgten, und auch gezeigt haben, dass nicht jede Platte unbedingt ein Gesicht braucht, wenn die Musik für sich sprechen kann.

In Sachen Internet und Musik hat es natürlich auch wieder einige Entwicklungen gegeben. Gerade „legale“ Hoster wie Soundcloud oder Fairtilizer sind zunehmend die erste Wahl für Musiker und auch Labels, um Mixe und Promos an die Hörerschaft zu bringen, während Dienste wie Spotify (immer noch nicht in Deutschland verfügbar) und Lala sich eher um die Verwaltung der eigenen und dem Entdecken neuer Musik kümmern. Apropos Internet, es erklärt sich ja von selbst, dass 2009 auch das Jahr von Twitter war, auch wenn ich es als Medium für Künstler und Bands doch eher unbrauchbar finde – jedenfalls kenne ich kaum Twitter-Profile, die ich in dieser Hinsicht wirklich interessant finde. Denn auch wenn Richie Hawtin jetzt seine Playlist aus dem Club heraus twittert, ist das zwar ein lustiges Gimmick, aber auch nicht viel mehr. Hier kann man sicherlich noch nachlegen.

Und noch etwas, das mir 2009 vemehrt aufgefallen ist: die schiere Anzahl an Podcasts. Inzwischen scheint es kaum noch ein Blog oder eine Seite zu geben, die keinen Podcast mehr anbietet (wir sind mit unserem Beatcast natürlich nur minor players in dieser Hinsicht). Das ist zwar zum einen löblich, allerdings kam jedenfalls ich teilweise überhaupt nicht mehr nach mit dem Hören von Livesets und Podcasts, die ja gerade auch am Stück gehört werden wollen. Wie dem auch sei, Resident Advisor bleibt hier immer noch der Platzhirsch, auch wenn dieses Jahr auffällig viele schwache Podcasts dabei waren. Fast immer lohnend war dagegen der Podcast von FACT, und wer keine großen Namen braucht, der findet bei kleineren Blogs wie Keep it Deep oder Mnml Ssgs noch das ein oder andere Schmuckstück.

Lange Rede, kurzer Sinn: 2009 war ein seltsames Jahr, aber es gab trotzdem noch zahlreiche wirklich ausgezeichnete Platten. Hier ist er nun also, unser Jahresrückblick. Wie immer in no particular order.

Alben

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DJ Sprinkles – Midtown 120 Blues (Mule)

Unter anderem auch bei RA in der Jahrespoll auf Platz #1 gewählt worden, und das völlig zu Recht – Terre Thaemlitz aka DJ Sprinkles Midtown 120 Blues ist ein Album, das klingt wie ein entferntes Echo früherer Zeiten, das aus den verstaubten Clubs der West Village hinter mittlerweile verschlossenen Türen und verbarrikadierten Häuserfronten hervordringt. Es klingt nostalgisch, aber nicht altmodisch, es ist aufreibend und zeitweilen sentimental, aber auf eine wärmende, sehr intime und vor allem packende Weise. Es ist ein Album, das zum Nachdenken und Reflektieren anregt, aber gleichzeitig auch einen durchgängig wunderschönen Groove besitzt. Letztendlich: es ist House, wie es sein sollte. Nicht nur eines der besten Alben des Jahres, sondern eines der besten des Jahrzehnts, hands down. [Review]

Brock van Wey – White Clouds Drift On and On (Echospace Detroit)

Brock van Wey alias Bvdub hat in den letzten drei Jahren einen beachtliche Anzahl von EPs unter das Volk gebracht, und ganz nebenbei damit auch seine Nische im fast schon totgeglaubten Ambientbereich untermauert. Egal ob als Bvdub mit Kickdrum oder gänzlich beatlos wie hier bei seinem epochalen Debütalbum, Brock van Weys Musik hat stets eine außergewöhnliche emotionale Tiefe, in die der Hörer über breite, schwebende Flächen und den Einsatz entfernter Stimmen und Gesänge hineingesogen wird, und die einen einfach nicht mehr loslässt. Ein Album voller Schönheit, Emotionen und Melchancholie, das mit einer zusätzlichen CD mit Dub-Edits von Intrusion abgerundet wird. [Review]

Bibio – Ambivalence Avenue (Warp)

Warp musste die letzten Jahre öfters Schelte einstecken angesichts der Entwicklung des Labels, aber ich frage mich zunehmend, wieso eigentlich. Denn das inzwischen auch Artists wie Bibio hier eine größere Plattform finden, sollte vielmehr belohnt werden. Ambivalence Value ist eines dieser Alben, die man eigentlich nicht richtig einordnen kann: Abstrakte, elektroakustische Klangexperimente, seltsam nostalgische Folk-Songs, und zwischendurch auch mal schwer gefilterte Instrumentals, die ein wenig an Flying Lotus erinnern, prallen hier aufeinander, und paradoxerweise passt das alles erstaunlich gut zusammen. Handclaps, Basslines, Lagerfeuerstimmung – wieso nicht alles auf einmal? Für alle die es nicht besser wissen: genau wegen solchen Alben ist Warp eben Warp!

Stimming – Reflections (Diynamic)

Martin Stimming hat es schon im letzten Jahr mit seiner Kleinen Nachtmusik in unsere Single-Charts geschafft, dieses Jahr folgte das Album auf Diynamic. Ich mag Stimmings sehr eigene Produktionsweise, die, wie er uns im Interview erzählt hat, auch von den vielen Sounds kommt, die er live aufnimmt und dann weiter verwertet. Dadurch kommen Stimming Tracks auch immer etwas wacklig daher – im positiven Sinne. Reflections ist dabei nicht nur die musikalische Aufarbeitung einer persönlicher Krise, die in Tracks wie The Loneliness ihren Höhepunkt findet, sondern auch eine Standortbestimmung des jungen Wahl-Hamburgers. Und mit dem zurückhaltenden Song for Isabelle enthält das Album zudem einen meiner Lieblingstracks des Jahres.

Leyland Kirby – Sadly the Future is No Longer What it Was (History Always Favors the Winners)

Leyland Kirby hat sich vor allem als V/Vm Ende der 90er Jahre einen Namen gemacht, als er neben Aphex Twin Mash-Ups und trashigen Popsongs so ziemlich alles durch den Hardcore-Fleischwolf gedreht hat. Nebenbei hat er aber auch als The Caretaker alte Vinylaufnahmen der 20er Jahre recycled, und anhand dieser Loops ziemlich großartige, verstaubte Klangwelten erkundet. Diese herrschen auch auf dem ersten Album unter seinem richtigen Namen vor, das den leicht unheimlichen Unterton der Caretaker-Platten aufgreift, mit etwas Modern Classical abschmeckt und teilweise so leise ist, dass man wirklich ganz genau hinhören muss, was sich aber fast immer lohnt. Mit fast vier Stunden Laufzeit über 3 CDs verteilt ist diese Sammlung zwar ziemlich überwältigend, aber gleichzeitig auch ziemlich großartig.

Camera Obscura – My Maudlin Career (4AD)

Vielleicht das Album, das ich in diesem Jahr am häufigsten gehört habe. Die Schotten von Camera Obscura schaffen es tatsächlich, mit jedem Album noch dichter zusammenzurücken und noch gezielter an dieser Idee von Pop zu arbeiten, die genau den Nerv zwischen Melancholie und augenzwinkernder Ironie trifft. Sowohl musikalisch als auch textlich gesehen ist es das vielleicht komplexeste Album der Band, die mit French Navy, My Maudlin Career und Honey in the Sun gleich drei der wunderbarsten Indiepop-Stücke des Jahres produziert hat. Ein Album, dass mich gerade im Frühjahr durch unterschiedlichste Gefühlslagen begleitet hat. [Review]

Martyn – Great Lenghts (3024)

Nach dem ersten Hören dachte ich noch, hier kommt der womöglich beste Dubstep-Longplayer seit Burials Untrue (mal abgesehen davon, ob man die Alben nun vergleichen oder überhaupt als „Dubstep“ bezeichnen kann) vor zwei Jahren. Inzwischen ist die anfängliche Euphorie wieder etwas abgeschwächt, was aber nichts von der Größe dieses Albums schmälern sollte. Martyn betritt wie auch schon 2562 im letzten Jahr das Grenzgebiet zwischen vertrackten Half-Step Cuts, dubbigen Synthie-Stabs und geradlinigeren Technostrukturen, und das ebenfalls unglaublich gut. Mit der Ausnahme zwei, drei schwächerer Tracks ist Great Lenghts dadurch auch der unerreichte Gradmesser für dieses Hybridgenre im Jahr 2009 schlechthin.

Manic Street Preachers – Journal For Plague Lovers (Sony)

Das Cover kommt von Jenny Saville, die Texte aus dem Nachlass des verstorbenen Ex-Sängers, der erste Tracks beginnt mit einem Filmsample – der Versuch, an The Holy Bible aus dem Jahr 1994 anzuknüpfen könnte kaum offensichtlicher sein. Und es hätte sicherlich auch ziemlich in die Hose gehen könnne. Tat es aber nicht, denn Journal for Plague Lovers ist das beste Album der Manics seit langer langer Zeit. Vielleicht liegt es wirklich auch zum Teil an Richeys Texten, aber die Manics sind endlich wieder laut und wütend, wie man gleich beim sensationellen Opener Peeled Apples merken wird. Doch auch wenn der Wind wieder etwas rauer weht, hat man sich nicht gänzlich von der Eingänglichkeit der letzten Alben verabschiedet, und bei Tracks wie dem von Streichern untermalten The Joke Sport Severed zeigt man eine hervorragend abgeschmeckte Mischung von „alten“ und neuen Manic Street Preachers. Für mich eine der Überraschungen des Jahres.

Jacek Sienkiewicz – Modern Dance (Cocoon)

Ich halte das klassische Techno-Album noch immer für eine schwierige Angelegenheit, weswegen es auch nur wenige schaffen, mich als Gesamtkunstwerk auf Dauer zu überzeugen. Sienkiewicz hat sich dazu entschieden, die Tracks ineinander zu mixen, was zum einen den Vorteil hat, dass man sich nicht unbedingt die Standout-Tracks herauspicken kann oder muss, gleichzeitig aber auch einen koherenten Querschnitt durch das Repertoire des Produzenten bietet. Modern Dance ist dabei zu Beginn ein relativ schnelles und straightes Technoalbum, dass sich aber mit allerlei interessanten Wendungen immer wieder aus der drohenden Minimal-Wüste zu entziehen weiß, und zum Schluss dann doch noch etwas einfühlsam wird. Es ist genau diese Mischung, die das Album auf Dauer interessant macht, und das Talent von Sienkiewicz unterstreicht.

Metric – Fantasies (02 Records)

Bitte was? Metric? Auch eine dieser Platten, von denen ich gar nicht genau weiß, warum ich sie eigentlich so oft gehört habe in diesem Jahr. Vielleicht weil die Band um Emily Haines einfach so verdammt eingängliche Indierock-Songs schreibt, bei deren Mitsingen ich mich gerade beim Autofahren häufiger ertappt habe. Oder weil ich einfach ein Sucker für blonde Sängerinnen/Songwriter bin, und aus Schweden in diesem Jahr nichts kam was mich wirklich bewegt hat. Wie dem auch sei: Metric. Fantasies. Wieso denn auch nicht.

Raekwon – Only Built 4 Cuban Linx Pt.II (Ice H2o)

The Chef hat es abermals der Konkurrenz gezeigt. Raekwon ist zusammen mit Ghostface das wohl konstanteste Wu-Tang Mitglied, und wenn beide wie hier auf mehreren Tracks zusammentreffen, weiß man genau, woran man ist: Messerscharfe Punchlines und exzellent produzierte Beats (u.a. von RZA und Dilla), natürlich etwas weniger „raw“ als noch auf dem epochalen ersten Teil, der vor 14 Jahren (!) erschienen ist, aber deswegen nicht minder markant. Der Titel alleine verspricht einiges und setzt hohe Erwartungen, die nicht enttäuscht werden. Das beste Album aus dem Umfeld des Clans seit langer langer Zeit, und ein Standortbestimmung für „Gangster Rap“ im Jahre 2009. [Review]

Reagenz – Playtime (Workshop)

Pech für alle, die ihr Best Of schon vor Dezember geschrieben haben, denn denen ist die zweite Zusammenarbeit von Move D und Jonah Sharp durch die Lappen gegangen. Vor 15 Jahren kam das erste Album der beiden unter dem Alias Reagenz raus, dann hat man sich aus den Augen verloren, und erst kürzlich wieder neu zusammengefunden. Geschadet hat die lange Pause offensichtlich nicht, denn Playtime ist wieder eine großartige Konvergenz von House und Ambient, die teilweise auch an Moufangs Kollaboration mit Benjamin Brunn aus dem letzten Jahr erinnert, aber gleichzeitig mit Tracks wie dem wunderbar wippenden Dinner With Q oder dem 23-minütigen Ambienttrack Du Bist Hier! auch genug Eigencharakter hat, um eines der interessantesten Alben des Jahres darzustellen.

Wisp – The Shimmering Hour (Rephlex)

Der Titel für das einzige „klassische“ IDM Album geht diesmal an Wisp und das altehrwürdige Rephlex Label. Ein bisschen Drill’n’Bass, analoge Sounds, einige etwas mehr um die Ecke steppende Tracks und über allem immer wieder eines: tolle Melodien. Das ist zwar alles nicht besonders innovativ, muss es aber auch gar nicht. The Shimmering Hour bleibt ein herrlicher Ausflug in die Glanzzeiten des Labels, ohne dadurch angestaubt zu klingen. Im Gegenteil, inzwischen wünsche ich mir fast wieder mehr davon!

Felt – Felt #3 (A Tribute to Rosie Perez) (Rhymesayers)

Felt sind zurück, und Slug und Murs haben sich für ihren dritten Streich diesmal Aesop Rock als Produzent ins Boot geholt. Von einigen albernen Skits abgesehen, sind alle drei hier in Höchstform: die beiden Protagonisten werfen sich scheinbar spielend die Bälle zu, und hauen mal eben einige der hervorstechendsten Lines des Jahres raus, während Aesops Beats für einen etwas dunkleren, aber nicht minder abwechslungsreichen Anstrich sorgen. Bemerkenswert in jedem Fall, wenn man bedenkt, dass es sich hier eigentlich „nur“ um ein Nebenprojekt handelt, das aber inzwischen auf ziemlich selbstbewussten Beinen steht, und Felt sich spätestens jetzt eine der stärksten Kollaborationen im Underground HipHop nennen darf.

Jasper TX – Singing Stones (Fang Bomb)

Letztjähriges Black Sleep von Jasper TX war noch eine ziemlich dronig-düstere Angelegenheit, aber Singing Stones wirkt nicht nur vom Artwork her freundlicher, sondern auch in Sachen Sound: Etwas mehr Fokus liegt hier auf den spärlichen, aber bewusst akzentuierten Gitarrenklängen, die in einen Mantel aus Fieldrecordings und vereinzelten Pianopassagen verwoben sind, und sich zwischendurch auch immer mal wieder in weiten Ambient-Flächen verlieren. Ein wunderbar dichtes Album, das vielleicht das Zugänglichste des Schweden bis dato ist.

Demdike Stare – Demdike Stare (Modern Love)

Vielleicht der Kritikerliebling des Jahres. Viel positives hat man über die Kollaboration zwischen MLZ und Sean Canty gesagt, ohne dadurch eine breite Masse anzusprechen. Das wundert aber nicht, denn abgesehen vom durchdringenden Sub-Bass und einiger etwas geradliniger Dubtracks ist Demdike Stare doch irgendwie zu abstrakt, zu kantig, zu düster und verkopft, um ein wirklicher Hit zu werden. Futuristische Synthesizer treffen hier auf cineastische Ambient-Passagen, verwirrende Stimmen, entferne Instrumente und Industrial-Splitter, die dem ganzen Album eine durchgängige Endzeitstimmung verleihen, die man zwar auch nach mehrmaligen Hören nicht so richtig einzufangen weiß, aber trotzdem nicht loslassen kann.

Snd – Atavism (Raster-Noton)

Hat glaube ich keinem gefallen, dem ich es vorgespielt habe. „Zu rappelig“, hat der eine gemeint, „zu mechanisch“ der andere. Dabei enthält Atavism doch die vielleicht tanzbarsten Stücke des Duos aus Sheffield überhaupt, auch wenn man das natürlich relativieren muss. Auf jeden Fall haben SND ihren Zen-Minimalismus inzwischen wirklich endgültig perfektioniert, und ziehen das auf Albumlänge in solch feingeschliffener Konsequenz durch, dass man einfach seinen Hut zücken muss, denn dieser Sound ist absolut einmalig. Ob man es denn mag oder nicht muss wie immer jeder selbst entscheiden. Ich war jedenfalls schon immer Fan. [Review]

Redshape – The Dance Paradox (Delsin)

Ich gebe ja zu, dass ich diese Maskenträgerei inzwischen sehr albern finde, entschuldige Redshape aber dadurch, dass er es in der Tat geschafft hat, in den letzten Jahren auch musikalisch seinen eigenen Stil zu finden. Sein Debütalbum besticht allerdings dadurch, dass es, vom Opener und Dead Space Mix einmal abgesehen, eigentlich keinen wirklichen Technotrack enthält, und trotzdem Redshapes Produktionsweise klar erkennbar bleibt: Perfide Percussion, diesmal live eingespielt, futuristische Sci-Fi Synths und unerwartete Tempowechsel sorgen für eine Reise tief in Redshapes mysteriösen Klangkosmos, der gerade dann am faszinierendsten ist, wenn es ruhiger und langsamer zur Sache geht.

Mr. Lif – I Heard it Today (Bloodbot)

Schade, dass Lifs drittes Album erst in diesem Jahr erschienen ist, wo sich eine Tracks doch noch explizit gegen die Bush-Regierung wenden. Nichtsdestotrotz ist I Heard It Today eine ziemlich beeindruckende Abrechnung mit der amerikanischen Politik und Wirtschaft, die gerade im Jahr der Finanzkrise(n) fast schon prophetischen Charakter besitzt. Stücke wie der Titelsong und What About Us? sind so aufwühlend und packend, dass man den Eindruck hat, dass Lif sich im Stile eines Howard Beale an die Hörer wendet: „I want you to get mad!“ Das beste daran: es funktioniert, denn lange hat kein Rap-Album bei mir soviel Wut ausgelöst.

Sven Weisemann – Xine (Wondering)

Sven Weisemann hatte sicherlich ein tolles Jahr, das neben einem wunderbaren Mix und zweier ausgezeichneter Singles (siehe unten) auch noch das erste Album bereithielt, das vor allem seine klassische Musikausbildung unter Beweis stellt. Doch auch wenn hier Piano und Streicher dominieren, streut Weisemann auf Xine auch immer wieder dezent elektronische Elemente und kaum erkennbare Sprachschnipsel ein, und schafft so ein ungemein dichtes, emotionales und auch sehr geerdetes Album, das Weisemann auch als Produzent von der breiten Masse im House-Bereich abgrenzt.

Dinosaur Jr – Farm (Jagjaguwar)

Dinosaur Jr. packen auf dem zweiten Album nach ihrer Reunion nochmal eine Schippe drauf, hauen mal so eben einige der markantesten Gitarren-Riffs und Soli des Jahres raus, spielen so zuversichtlich wie seit den 80ern nicht mehr, und lassen dabei so ziemlich jede andere Rockband des Jahres hinter ihren Marshall Verstärkern älter aussehen als die drei Mitt-Vierziger selbst. Genau wegen solchen Alben weiß man immer wieder, warum Luftgitarre im Wohnzimmer spielen ab und zu einfach sein muss. [Review]

The xx – The xx (Young Turks)

Ich muss an dieser Stelle gestehen, dass ich mich das ganze Jahr um The xx gedrückt habe, da ich die Band, aus mir unerklärlichen Gründen, stets in die Indie-Riot-Röhrenjeans-Schublade einsortiert habe, was natürlich nicht falscher hätte sein können. Denn The xx machen wunderbar leisetretende Popsongs, die ich in dieser Art und Weise tatsächlich lange nicht mehr gehört habe, weswegen ich mich fast ein bisschen ärgere, die Band aufgrund von jahrelang gehegten Vorurteilen gegenüber sogenannten „The“-Band nicht schon viel früher entdeckt zu haben.

Gefallen haben auch:

Cyne – Water for Mars
Gabriel le Mar – Dubwize
Lusine – A Certain Distance
The Whitest Boy Alive – Rules
Mathias Kaden – Studio 10
Kettel – Myam James Pt.2
Manuel Tur – 0201
Motohiro Nakashima – We Hum on the Way Home
William Basinski – 92982
Pendle Coven – Self Assessment
2562 – Unbalance
Estroe – Elemental Assets
King Midas Sound – Waiting for You
Svarte Greiner – Kappe
Leaf – Rooted From Within
John Daly – Sea & Sky
Kings of Convenience – Declaration of Dependence
Lynx + Kemo – The Raw Truth

Mixes / Compilations

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VA – Selected Label Works No.1 (Permanent Vacation)

Absolut essentielle 2xCD Compilation vom Münchner Permanent Vacation Label, das sich ja vor allem durch die Mischung aus Disco, Pop und House einen Namen gemacht hat. So überrascht es auch nicht, dass hier beispielsweise die schwedische Sängerin Sally Shapiro von Tensnake oder den Junior Boys geremixt wird (und das absolut großartig), oder die britischen Panthers, die auch auf DFA unterwegs sind, ein Rework von Holy Ghost! erfahren. Daneben sind es aber gerade auch die unbekannteren Namen wie Lullabies in the Dark, die mit Tracks wie dem fantastischen Iridium auf sich aufmerksam machen, und diese Compilation zu einer einzigen Party machen. Disco im Jahr 2009 klang selten besser.

Omar S – Fabric #45 (Fabric)

Omar S hat seinen Mix für Fabric, wie vor ihm auch schon Ricardo Villalobos, kurzerhand aus eigenen Tracks zusammengestellt, was in diesem Fall auch hervorragend funktioniert, denn Omar S hat nicht nur genug Material um einen Mix zu füllen, sondern vor allem auch genug Asse im Ärmel, um diesen auf 70 Minuten interessant und spannend zu halten: 8-Bit Sounds, Dubtechno, Vocalhouse – der Amerikaner geht einmal quer durch seinen Backcatalogue und gräbt neben „Hits“ wie Psychotic Photosynthesis noch das ein oder andere unbekannte Highlight aus. Wer den Sound von Omar S mag, wird diesen Mix lieben. [Review]

Ada – Adaptations Mixtape (Kompakt)

Ja, ok, ich gebe es zu: ich bin hier etwas parteiisch. Wer diese Seite länger verfolgt, kennt sicherlich meine Wertschätzung für Adas Produktionen, weswegen dieses „Mixtape“, das einige der unbekannteren Tracks und Remixe versammelt, natürlich auch genau meinen Geschmack trifft. Sicherlich hätte auch ich mir noch den ein oder anderen neuen Track gewünscht, der die Sammlung auch für eingfleischte Fans noch etwas attraktiver macht, aber auch wegen Remixe wie der von Tracey Thorns Grand Canyon und Andi Teichmanns Tape lohnt diese Compilation, abgesehen vom ganz hinreißenden Schlusstrack, in dem Ada zusammen mit Cosmic DJ einmal mehr Everything But The Girls Each and Every One zum Besten gibt.

VA – Ornaments Symphonie (Ornaments)

Die erste Mix-CD von Ornaments besteht aussschließlich aus dem Material der ersten zehn Singles des Labels, exzellent gemixt von youANDme. Dementsprechend hält sich auch die Anzahl der Künstler in der Tracklist in Grenzen, aber umso erstaunlicher, wie abwechslungsreich das Ergebnis doch ist. Zwar bewegt sich der Mix klar im dubbigen Bereich von Techno, was auch durch gleich fünf Remixe von Marko Fürstenberg unterstrichen wird, aber trotzdem schillern zwischenzeitlich auch immer wieder housigere Passagen durch, was den Mix in eine wahre Reise verwandelt, von der manch andere Label noch etwas lernen können.

Pépé Bradock – Confiote De Bits (A Remix Collection) (BBE)

Pepe Bradock ist bekannt dafür, einen eher gemäßigten Output zu haben, daher kommt diese Remix Collection auch wie gerufen, um etwas tiefer in den Kosmos des Franzosen zu tauchen. 18 Tracks zählt die Compilation, und auch wenn ich mich nicht mit wirklich jedem Remix anfreunden kann, verdeutlicht Confiote de Bits einmal mehr das Talent von Bradock, mit Jazz und House gleichermaßen zu spielen. Wie auch DJ Koze, denkt auch Bradock in seinem Remixen immer etwas um die Ecke, auch wenn das möglicherweise an der Tanzbarkeit zehrt. Trotzdem, eines ist sicher: wenn er gut ist, dann ist er wirklich exzellent, und dafür gibt es hier gleich mehrere Beweise.

Gefallen haben auch:

VA – Drumpoems Verse 2 (Drumpoet Community)
VA – 5 Years of Hyperdub (Hyperdub)
Sven Weisemann – Groove CD#119
VA – Delsin 2.0 (Delsin)
VA – Warp20 (Warp)
DJ /Rupture & Matt Shadetek – Solar Life Raft (Agriculture)
VA – Snuggle & Slap (Circus Company)
DJ Koze – Reincarnations (Get Physical)
VA – Strike 100 (Shitkatapult)

Singles

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Floating Points – Vacuum (Eglo)

Ganz klar meine Lieblingsplatte des Jahres vom Shootingstar Floating Points. Ein wunderbarer Funk/Disco/House Bastard, der so viele Ideen und Stimmungen zusammenwirft, und dabei gleich mehrere der unwiderstehlichsten Hände-in-die-Luft-Momente des Jahres auf einer Platte versammelt.

Tensnake – In The End (I Want You To Cry) (Running Back)

Muss man mal erlebt haben, wenn plötzlich ein kompletter Club zu solch einem Track mitsingt. Tensnakes Disco-Epos ist ein wahrer Floorfiller, eine Hymne, die nur vor Ideen, Sounds und Details strotzt und für einen der schönsten Überschäummomente des ganzen Jahres gesorgt hat. Und mit Holding Back My Love gibt es das Gegenstück zum Runterkommen gleich dazu. Ein Traum.

Dixon – Temporary Secretary Edits (Innervision)

Zugegeben, zwei Drittel dieser EP gegen sicherlich an die Original-Künstler und Remixer, aber Dixons Edits, und gerade der von Junior Boys Hazel, sind noch etwas straffer und druckvoller in den tieferen Frequenzen und steuern somit das letzte Puzzlestück für wirklich großartige Tracks bei, von denen es hier gleich drei an der Zahl gibt. [Review]

Burial / Four Tet – Moth + Wolf Club (Text)

Burial und Four Tet – sowas nennt man in England auch schnell mal ‚match in heaven‘. Und in der Tat klingen die Beiden auch zusammen exzellent. Während Moth noch etwas straighter im 4/4 Takt vor sich hin groovt, verschmelzen bei Wolf Club die fast schon archtypischen Glocken-Sounds von Four Tet mit Burials Half-Step-Rhythmen. Wunderbar auf beiden Seiten!

Culoe de Song – The Bright Forest (Innnervisions)

Was für ein Debüt des Südafrikaners! Es gab nur wenige Tracks in diesem Jahr, die sich wie der Titeltrack mit solch einer Energie und Intensität in die Höhe schrauben. Die entfernten Urschreie, das Piano-Plinkern, die nervösen HiHats – und wenn nach vier Minuten die Streicher einsetzen – Gänsehautfeeling!

Dplay – Browse (Drumpoet Community)

Nochmal Drumpoet Community. Browse ist einer dieser Deephouse Produktionen, die auch auf dem großen Floor zur Peaktime funktionieren können, und wer es mit etwas mehr Dub mag, wird im Remix von Ribn seinen Segen finden.

Frozen Border – #3 (Frozen Border)

„Faceless Techno“ war dieses Jahr auch wieder irgendwie im Kommen, und mit Frozen Border gab es gleich vier solche Platten, die mit kompromisslosen, straighten Techno der alten Schule aufwarteten, und sich trotzdem jedem Klischee zu entziehen wussten.

Darkstar – Aidy’s Girl Is A Computer (Hyperdub)

Vielleicht ist es die kindlich-modulierte Stimme, oder die melancholische Synthesizer-Melodie, die den Track in der zweiten Hälfte trägt, aber kaum ein anderer Elektronik-Track hatte in diesem Jahr solch einen Ohrwurmcharakter wie Aidy’s Girl Is A Computer.

Heiko Laux – Bitscream (Baalsaal)

Heiko Laux, sonst eher für härtere Technotracks bekannt, dreht sich hier plötzlich um die eigene Achse, und wirft mal so mir nichts dir nichts drei Tracks in den Raum, die genau den Zwischenraum von Techno und House treffen, und dabei eine ungewohnte Tiefe ausstrahlen. Respekt!

Kassem Mosse – Workshop #8 (Workshop)

Auch eine Platte, die ich lange unter „ganz ok“ einsortiert hatte, und die mich dann eines Nachts total überrollt hat. Vor allem die zwei langsameren der drei Tracks sind es, die einen auf eine Reise in die tieferen Sphären elektronischer Musik begleiten und nicht mehr loslassen.

Oliver Koletzki – Zuckerwatte (Stil vor Talent)

Oliver Koletzki mal anders als gewohnt hier mit crossover-kompatiblen Technopop der besseren Sorte; eine Liebeserklärung, die ebenso süß ist wie die besungene Zuckerwatte und auch mein Lieblingstrack des Albums ist. Etwas cheesy, klar, aber das darf es ruhig auch mal ab und zu sein.

Prosumer / Murat Tepeli – You & I (Ostgut Ton)

Nach dem Album im letzten Jahr haben sich die beiden House-Crooner etwas Zeit mit neuem Material gelassen, dann aber im Spätherbst mit You & I noch eine EP veröffentlicht, die genau mit dieser unwiderstehlichen Mischung aus Kaminfeuer-Wärme und Dancefloor-Tauglichkeit weitermacht wie gewohnt.

Ribn – Plain City (Ovum)

Schwere Entscheidung, welche der vielen EPs von Ribn ich in diese Liste packen soll. Ich habe mich für die auf Ovum entschieden, ganz einfach weil es mit KMD einen dieser weit auslaufenden, atmosphärischen Tracks gibt, und Cottbus dagegen mit ordentlich Echo und Delay die deepere Seite des Duos betont. Aber egal welche Platte man nimmt, mit Ribn konnte man dieses Jahr nicht falsch liegen.

Lusine – Two Dots (Ghostly)

Lusine hat auf seinem letzten Album den leicht verkopften Stil früherer Produktionen hinter sich gelassen, und einen etwas zugänglicheren, fast schon poppigen Pfad eingeschlagen, der sich vor allem auf den Songs mit der Sängerin Vilja Luksus zeigt. Two Dots ist einer von ihnen, ein kleines, unscheinbares Schmuckstück.

Joy Orbison – Hyph Mngo (Hotflush)

Laut der RA Poll ist Hyph Mngo der Track des Jahres. Ich würde nicht ganz soweit gehen, aber Joy Orbison hat es tatsächlich geschafft, noch einmal frischen Wind ins Garage-Genre zu bringen. Die steppenden Drums, das abgehackte Vocal Sample, die Acid-mäßigen Synths – Hyph Mngo ist ein an sich recht einfacher Track, der mit erstaunlich wenig Elementen verdammt viel rausholt. Und das ist eine Kunst für sich.

Bvdub – To Live (Smallfish)

Bvdub hier mal ohne Kickdrum, dafür aber mit einem Stück, das sozusagen das oben bereits erwähnte Album in komprimierter Form auf den Punkt bringt. Falls jemand noch nicht mit der Musik von Bvdub vertraut ist, dem sei dieses kleine, 20-minütige Meisterwerk wärmstens ans Herz gelegt.

DJ T. – Shine On (Get Physical)

Ich mochte DJ T. Produktionen schon immer ganz gerne, und mit Shine On hält sein letztes Album auch einen richtigen Hit parat, der gerade im Warehouse Dub vom Motor City Drum Ensemble noch einmal richtig durchgeschüttelt wird, und verschmitzt in Richtung Detroit lugt.

Agnès – Love Tempo (Sthlmaudio)

Dass ich Fan des Schweizers bin, dürfte inzwischen klar sein. Hier wieder zwei lupenreine Housetracks, die einen mit ordentlich Druck auf den Tanzboden schieben, und auf der B-Seite mit Snowhere eines der einfachsten und markantesten Piano-Stabs des Jahres vorzuweisen haben.

Delta Funktionen – Electromagnetic Radiation Pt.II (Ann Aimee)

Fast schon unverschämt gute EP vom Niederländer Nils Luinenburg, der hier auf vier Tracks sowohl einem deepen Dubtechno-Sound frönt, gleichermaßen aber auch immer wieder Melodien durchschimmern lässt, die einen langsam aber stetig in die Knie zwingen können. Bin gespannt, was hier noch kommt!

Soultourist – Fo-Eva (Drumpoet Community)

Drumpoet Community hatte abermals ein ausgezeichnetes Jahr, und Soultourists Fo-Eva verkörpert eigentlich perfekt den aktuellen Sound des Labels: Elegant-freundliche Housegrooves, die immer locker aus der Hüfte wippen, und immer auch ein bisschen auf die Retro-Seite schielen.

STL – Silent State (Smallville)

Der meandernde, fast 12 Minuten dauernde Titeltrack dürfte die Messlatte für aquatisches Dubtechno im Jahr 2009 recht hoch angesetzt haben, während die B-Seite etwas rauer und ungeschliffener ist, ohne dadurch den nebligen Groove zu vernachlässigen, der STLs Produktionen immer durchzieht.

Sven Weisemann – Exposure + Leontica (Essays)

Sven Weisemanns Doppelpack auf Essays hat uns in diesem Jahr gleich vier Deephouse-Tracks beschert, die zwischen Ambience und sehnsüchtiger Melancholie mitten ins Herz treffen, und einen perfekten Übergang zu seinem Album ermöglichten.

Millie & Andrea – Temper Tantrum + Spectral Source (Daphne)

Zwei EPs von Millie & Andrea gab es in diesem Jahr, von denen jeweils ein Track ein absoluter Killer ist: Temper Tantrum auf der einen ist ein verschroben-aggressiver Half-Stepper, Ever Since You Came Down dagegen erinnert mit seinen gepitchten Vocals eher an frühe UK Drum & Bass erinnert, ohne dabei seine Dubbigkeit einzubüßen.

VA – Delsin 2.0 Remix EP1 (Delsin)

Newworldaquariums Trespassers kam ursprünglich schon 2000 heraus, hat hier im Remix von Redshape aber einen zweiten Frühling erfahren, der kaum blühender sein könnte. Denn was dieser aus dem ohnehin schon sehr guten Original macht ist ein Kracher – ein Technotrack, der sich langsam und bedrohlich nach oben schraubt, um einen dann wirklich völlig umzuhauen.

Wax – 20002 (Wax)

Um Shed war es in diesem Jahr etwas ruhiger, aber auch Dank seines Wax-Projekts ist er alles andere als in Vergessenheit geraten. Auf der A-Seite noch etwas minimal, blüht die B-Seite richtig auf: ein Track, der mit seinem Piano-Loop und verwaschenen Strings zum einen die Melodie-Seeligkeit von Deephouse aufgreift, aber gleichermaßen auch treibend genug ist, um in Technosets zu passen. Fantastisch!

Carl Craig & Moritz von Oswald – ReComposed Remixes (Deutsche Grammophon)

Mit dem Album konnte ich nicht viel anfangen, und auch der C2 Remix auf dieser EP lässt mich größtenteils kalt. Nicht so aber der von Villalobos, der hier auf 12 Minuten Länge mal wieder sein ganzes Können unter Beweis stellt, und dabei einen seiner vielleicht besten Remixe überhaupt abliefert.

Nina Kraviz – Pain in the Ass (Rekids)

Zwei eher unscheinbare Tracks, die durch Kraviz‘ Gesang und Spoken Word sich trotzdem irgendwie nachhaltig einbrennen. Gerade I’m Gonna Get You ist mit seiner langsam vor sich hin fließenden Bassline und den sehnsüchtigen Vocals ein Track für die ganz ganz späten Stunden, und eignet sich übrigens hervorragend zum nächtlichen Fahren auf der Autobahn.

Marek Hemman – Gemini (Freude am Tanzen)

Marek Hemmans Gemini hat als Vorab-Single zu seinem Debütalbum schon mal ganz gut das Feld abgesteckt: vergnügt nach vorne treibendes, jazzig-angehauchtes Techno, das auf Gemini nebenbei noch das hinreißendste Saxophon-Sample des Jahres bereithält. [Review]

Gefallen haben auch:

Delorean – Ayrton Senna
Anton Zap – Outside
Donnacha Costello – Tragedy of the Commons
Ben Klock – One (Remixes)
Ital Tek – Mako
Robag Wruhme – Abusus Adde
Gruber & Nürnberg – Traffic
John Daly – Lonely Beat
Lawrence – Jill
Marko Fürstenberg – Eibenstock
Moderat – Rusty Nails
The Black Ghosts – Full Moon
Mount Kimbie – Maybes

Label

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Running Back

Ein bisschen Lokalpatriotismus muss natürlich auch sein, aber Gerd Jansons kleines Label Running Back hatte in diesem Jahr tatsächlich nur Hits vorzuweisen: die etwas weiter oben erwähnte Platte von Tensnake, Dplays Huub Sand und natürlich auch The Voice From Planet Love von Precious System, deren Vocals in diesem Jahr überall präsent waren und auch so einigen Mixen heraus ertönten, sind sicherlich die bekanntesten. In den letzten beiden Jahren hat sich Running Back zur festen Größe entwickelt, und es ist gerade die Unberechenbarkeit, die jede Platte von der nächsten abgrenzt, die uns gefallen hat.

Mule Musiq / Mule Electronic

Höchste Zeit, das japanische Vorzeigelabel Mule einmal zu loben. Ich bin mir zwar nie sicher, nach welchen Kriterien Platten auf dem Mutterlabel oder dem Sublabel Mule Electronic herauskommen, aber bei beiden Imprints ist die Qualität konstant hoch. Dieses Jahr gab es mit Jill vielleicht die beste Lawrence Single seit Jahren, ganz abgesehen von seinem Album, dazu natürlich noch DJ Sprinkles (in Japan eigentlich schon 2008 erschienen), die zweite EP des Südafrikaners Culoe de Song, neues von Isolée, Ribn, sowie eine weitere Single von John Daly, dessen Album Sea & Sky die oben erwähnte Liste nur knapp verpasst hat. Globalisierung auf japanische Art.

Hotflush

Als wir vor fast zwei Jahren mit Scuba gesprochen hatten, ist sein Label Hotflush gerade in einer Übergangsphase gewesen. Mit dem Umzug von Scuba nach Berlin hat sich auch der Sound geändert, auch wenn Hotflush nie das „typische“ Dubstep-Label war. Schon immer hat man auf Hotflush etwas um die Ecke gedacht, hat Einflüsse von IDM und Techno einfließen lassen, und damit auch immer die Evolution von Dubstep mit vorangetrieben. Seit dem letztjährigen Album von Scuba hat man mit Mount Kimbie, Sigha und natürlich Joy Orbison drei Produzenten ins Haus geholt, deren Stil absolut frisch ist. Soviel Vorwärtsdenken muss belohnt werden.

Warp Records

Alleine das 20-jährige Bestehen, das in diesem Jahr mit einem epochalen Boxset und einer weltweiten Reihe von Partys gefeiert wurde, dürfte in diesen Zeiten Grund genug sein, ein Lob auszusprechen. Aber Warp hat nach all den Jahren nichts an seiner Vormachtsstellung eingebüßt – im Gegenteil. Schon im letzten Jahr hat man mit Flying Lotus und Harmonic 313 neues Terrain betreten, und dieses Jahr mit den Crossover-Produktionen von Bibio, dem Wonky Hip-Hop von Hudson Mohawke und den Indierock-Elegien von Grizzly Bear abermals Akzente gesetzt. In diesem Sinne: Glückwunsch und auf weitere 20 Jahre!

Produzenten

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Bvdub

Brock van Wey hat schon in den letzten Jahren mit zahlreichen EPs auf seinem eigenen Label Quietus seine Vision von Ambient verfeinert, und mit dem Debütalbum auf Echospace und den Remixen von Intrusion hat er es nun auch vor ein breiteres Publikum geschafft, das ihn wohlwollend aufnimmt. Man kann auch gar nicht anders, denn Bvdubs Musik ist nicht nur zeitlos, sondern enthält auch eine wahnsinnig emotionale Tiefe in jedem einzelnen Track, die man selten vorfindet. Aber nicht nur die Musik, auch die Geschichte der Person dahinter ist bemerkenswert, und daher ist Bvdub gleich in zweierlei Sicht einer der interessantesten Produzenten des Jahres gewesen.

Sven Weisemann

Sven Weisemann hat dieses Jahr tatsächlich auf fast allen Hochzeiten gespielt – ob als exzellenter DJ für die Groove oder Bodytonic, Deephouse-Produzent auf Mojuba und liebe*detail oder leisetretender Klassik-Connaisseur – Weisemann kann gleichzeitig die Leute zum Tanzen bringen und nebenbei noch mehr Instrumente spielen als so manche Band in der Summe. Und gerade als ich dachte, dass seine Remixe wie der für Sven Tasnadi etwas berechenbar werden, hat er mix Xine noch eines der besten Alben des Jahres herausgebracht und damit seine Stellung zementiert.

Manuel Tur / Langenberg / Dplay

Am Essener Dreigestirn um Manuel Tur, Dplay und Langenberg (zusammen mit Tur als Ribn unterwegs) gab es in diesem Jahr kaum einen Weg herum, wenn man auf House steht: ein gutes Dutzend Platten dürfte auf die drei Produzenten und ihre gemeinsamen Projekte und gegenseitigen Remixe zurückgehen, darunter großartige Singles wie Dplays Browse oder Ribns This Feeling, ebenso wie Manuel Turs Debütalbum 0201. Damit hat das Trio nicht nur die sonst eher unscheinbare Stadt Essen auf der House-Landkarte platziert, sondern auch einige der nachhaltigsten Tracks des Jahres hinterlassen.

Miles Whittaker / MLZ

Dürfte vielleicht einige überraschen, aber Miles Whittaker hat nicht nur als MLZ in den letzten Jahren ziemlich großartige Dubtechno-Tracks auf Modern Love herausgebracht, sondern als eine Hälfte von sowohl Pendle Coven als auch die oben genannten Demdike Stare gleich zwei tolle Alben 2009 veröffentlicht. Und als wäre das nicht schon genug hat er ebenfalls als eine Hälfte von Millie & Andrea für zwei der wuchtigsten und verschrobensten Dubstep-Banger des Jahres gesorgt. Kurz gesagt: MLZ hat in diesem Jahr seine Produktionen für sich sprechen lassen wie kaum ein anderer, und deswegen verdient der kamerascheue Brite diesen Platz allemal.

Worst Album

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Moritz von Oswald Trio – Vertical Ascent

Mag jetzt oppositär klingen, wenn man sich anschaut, auf wievielen Listen dieses Album auftaucht, aber ich bleibe bei meiner Meinung: wenn hier nicht die Namen dieser drei, zugegeben an sich sehr talentierten Musiker, draufstehen würden, hätte dieses Album keine Sau interessiert. Affektierte, schnarchige Musik für Menschen, die wirklich in jedem Rumgenudel und akademischen Klanggewichse noch einen innovativen Ansatz erkennen wollen.

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In diesem Sinne: auf ein neues Jahr! :)

Ältere Jahresrückblicke: 2008 / 2007 / 2005

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9 Comments

  1. Matthias

    Wow, dem ist eigentlich nichts mehr hinzuzufügen. Dein Jahresrückblick toppt alle, die ich bisher gelesen hatte. Wie immer kenne ich bei weitem nicht alles, was du so rückblickend vorgestellt hast, aber da ich zu den Glücklichen gehöre, die Spotify haben, werde ich das eine oder andere nachhören können. Wobei Labels wie Warp oder auch kleinere dort erst gar nicht vertreten sind. Aber ich fahre ja heute nach Berlin, dort soll es ja gut sortierte Plattenläden geben, wie man hört. Dahin nehme ich dann am besten mein Netbook mit :)

  2. Thomas

    Sehr viele Perlen in deinem Best-Of. Kann an viele Stellen zustimmen.
    Ein paar Releases gingen total an mir vorbei:
    Robag Wruhme – Abusus Adde
    Marko Fürstenberg – Eibenstock
    Ribn – Plain City

    Werden aber sobald als möglich in den Gehörgang injiziert.

    Cheers und auf ein Perlenreiches 2010

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