ninja tune 20 years

Feature: 20 Jahre Ninja Tune

Letztes Jahr war es Warp, dieses Jahr ist es ein weiteres der ganz großen britischen Labels, das sein 20-jähriges Jubiläum feiern darf. Der Name Ninja Tune steht seit 1990 für angejazztes Downtempo, gediegene Chill-Out-Tracks und hochwertige Broken Beats. Von der ersten Solid Steel Radioshow im Jahre 1988, über die die ersten Cut-Up-Produktionen von Coldcut und DJ Food bis hin zu den Jazz-Experimenten von Funki Porcini, Amon Tobin und dem Leftfield-Hip Hop von cLOUDDEAD – elektronische Musik in England ohne Ninja Tune ist heute kaum vorstellbar.

Auch wenn man in den Jahren das Soundspektrum des Londoner Labels schätzengelernt hat, war Ninja Tune nie ein Label, dass sich auf seinen Lorbeeren ausgeruht hat. Die beiden Gründer, Jon More und Matt Black, besser bekannt als Coldcut, haben stets die Tiefen der Plattenkisten und Demotapes durchwühlt und dabei so manches Juwel ausgegraben. Sie haben nicht nur Ninja Tune konstant weiterentwickelt, sondern 1997 auch mit Big Dada ein renommiertes Sublabel für Hip Hop lastigere Produktionen ins Leben gerufen, auf dem unter anderem mit Roots Manua und Spank Rock auch sehr erfolgreiche Vertreter des Genres ihren Platz gefunden haben.

Nun sind es also zwanzig Jahre, und Ninja Tune feiert mit zahlreichen Freebies und einer kommenden Compilation das Jubiläum. In den letzten Tagen hat bereits ein Mix der Ninja Tune Urväter Coldcut vs. DJ Food für das amerikanische Magazin XLR8R die Runden gemacht, der als Werkschau des Labels wärmstens zu empfehlen ist. Ich möchte an dieser Stelle noch etwas weiter gehen, und passend zum Geburtstag zehn Klassiker aus dem Katalog von Ninja Tune vorstellen, die auch das musikalische Spektrum des Labels ganz gut repräsentieren. In chronologischer Reihenfolge geht es los mit…

DJ Food – Jazz Brakes Vol. 1-5 (1990-1994)

DJ Foods Jazz Brakes waren die ersten Longplayer auf Ninja Tune überhaupt, und nicht zufällig hat sich mit ihnen auch der Sound des Labels etabliert: Hier finden sich größtenteils recht kurze, instrumentale Stücke wieder, die in der Tradition des klassischen Samplings stehen. Der Jazz in all seinen Facetten ist vorherrschend, aber auch 70er Jahre Funk, afrikanische Rhythmen, Hip Hop Beats und Einflüsse des damals in England noch recht unbekannten House finden sich wieder. Man kann nicht sagen dass auf allen fünf Teilen der Reihe die qualität gleichbleibend hoch ist, dafür ist es einfach zu viel Material, doch wenn DJ Food einen guten Beat machen, dann ist er wirklich gut. Und so genießen die Jazz Brakes auch heute noch einen hohen Stellenwert im Ninja Tune Katalog.

Funki Porcini – Hed Phone Sex (1995)

Auch James Bradell, alias Funki Porcini gehörte zu der ersten Garde talentierter Produzenten, die sich auf Ninja Tune eingefunden hatten. Heute etwas in Vergessenheit geraten, hat Bradell Mitte der 90er Jahre gleich drei Alben mit feinstem Acid Jazz veröffentlicht. Hed Phone Sex aus dem Jahr 1995 war das Debüt von Funki Porcini, und gerade die ruhig fließenden, leicht bekifften Downtempo Tracks des Debüts können auch heute noch so manchen müßigen Sonntag verschönern.

Amon Tobin – Permutation/Supermodified (1998/2000)

Amon Tobins Doppelschlag kam im Jahr 1998 und 2000 respektive mit Permutation und Supermodified. Zwar hatte der Brasilianer bereits mit Bricolage ein Jahr zuvor das Feld abgesteckt, aber erst auf den beiden Nachfolgern konnte er sein ganzes Potential entfalten. Amon Tobins Musik ist ein polyrhytmischer Dschungel, ein nervöser und unglaublich dichter Soundkosmos, in dem es an allen Ecken zuckt und vibriert, rauscht und pulsiert. Disparate Elemente prallen aufeinander und stoßen sich ab, krachende Breakbeats wechseln sich mit Jazzelementen ab und verschmelzen zu etwas gänzlich Neuem. Kaum ein anderer Produzent schafft es, so viele Elemente so geschickt zusammenzufügen, und trotz des scheinbar vorherrschenden Chaos doch einem roten Faden zu folgen. Zwei Alben für die Ewigkeit.

Mr Scruff – Keep it Unreal (1999)

Ninja Tune hatte immer Humor. Das zeigt sich nicht nur in vielen offiziellen Videos, im Artwork und den Namen der zahlreichen Compilations. Gerade in den 90er Jahren gab es einige Alben, die mit subtiler Ironie kokettierten. Auch Mr Scruffs Keep it Unreal kann mit einer gewissen „Quirkiness“ punkten. Man braucht sich nur das folgende Get a Move On anhören, in dem Moondogs Bird’s Lament in einem 4/4 House-Beat verwurstet wird, um das zu erkennen. Doch trotz zahlreichen humorvollen Samples und der aufgelockerten Atmosphäre, führt Mr Scruff die musikalische Tradition fort, die das Label in den 90er Jahren verfolgt hat.

The Cinematic Orchestra – Motion (1999)

Das Cinematic Orchestra muss man wohl kaum mehr vorstellen. Spätestens mit den letzten Veröffentlichungen hat sich das Outfit um Bandleader Jason Swinscoe sowohl als vorzügliche Liveband einen Namen gemacht, als auch mit ihrer Mischung aus klassischem Jazz und subtiler Elektronika für einige der besten Alben des Genres gesorgt. Motion war im Jahr 1999 das Debüt der Band, und auch wenn die Nachfolger in Sachen Qualität dem in nichts nachstehen, enthält es doch einige der bekanntesten und auch besten Songs: Das 14-minütige, mäandernde Night of the Iguana gehört ebenso dazu wie das schwermütige Channel 1 Suite, dessen Bläser sich wie Neonlichter durch den nächtlichen Nebel schneiden.

Wagon Christ – Musipal (2001)

Luke Vibert kennt man vor allem als verkopften Drill’n’Bass Produzenten, der als Plug und Amen Andrews im Umfeld von Rephlex und Warp immer wieder für Furore gesorgt hat. Doch gerade als Wagon Christ hat Vibert bewiesen, das er nicht nur wahnwitzige Breakbeats zusammenbauen kann, sondern auch weitaus entspanntere und zugängliche Musik im Repertoire hat. Zwar schwingt auch bei Wagon Christ stets eine gewisse Kantigkeit mit, doch die Tracks sind nicht nur vom Tempo her deutlich reduzierter, sondern passen dank der Jazz-Einflüsse ziemlich perfekt zu Ninja Tune. Nicht nur dank des animierten Video-Klassikers zu Receiver ist Musipal ein Eckpfeiler in der Geschichte des Labels.

King Geedorah – Take Me to Your Leader (2003)

MF Doom hat in den letzten Jahren mit einigen erfolgreichen Projekten und Alben seine Position im Underground Hip Hop zementiert. Als King Geedorah war er bis jetzt aber erst einmal unterwegs, doch das Konzeptalbum um das dreiköpfige Ungeheuers King Geedorah aka Monster Zero, das aus dem All auf die Erde kommt, um Angst und Schrecken zu verbreiten, ist eines der interessantesten in Dooms Oeuvre: Verstaubte Jazz-Samples im Dauerloop, breit ausgelegte Streicher und ein ganzes Arsenal an obskuren Filmsamples: Take me to Your Leader ist wahnwitzig, teilweise überdreht und dann doch immer wieder herrlich entspannend. Kurzum, ein tolles Album vom Mann mit der Maske.

Blockhead – Music by Cavelight (2004)

Blockhead kennen viele vermutlich als Produzenten der ersten Alben des New Yorker Rappers Aesop Rock. Seine Soloproduktionen sind dagegen nicht ganz so düster und verschroben. Im Gegenteil, mit einer gewissen Schwermütigkeit und Melancholie in seinen Tracks, einer Nase für passende Samples und der Fähigkeit, auch mit Instrumentals eine Art Geschichte zu erzählen, hat sich Blockhead mittlerweile auch als Solokünstler einen Namen gemacht. Kopfhörermusik zum Mitnicken und Abschweifen.

Jaga Jazzist – What We Must (2005)

Jaga Jazzist, das zehnköpfige Ensemble aus Norwegen um Lars Horntveth, ist der vielleicht beste Beweis für die Erweiterung von Ninja Tunes Soundkosmos im neuen Jahrtausend. Zwar sind auch Jaga Jazzist, wie der Name schon sagt, ursprünglich im Jazz verwurzelt, doch gerade auf What We Must, dem dritten Album der Band, orientierten sie sich eher am Post-Rock: Die Soundwände bauen sich immer wieder langsam auf, nur um schließlich energisch ins kontrollierte Chaos zu versinken. Das fulminante Oslo Skyline ist daher vielleicht auch der „lauteste“ Track, den es in der gesamten Labelhistorie von Ninja Tune gibt. Und auch wenn nicht, bleibt es definitiv einer der Besten.

Bonobo – Days to Come (2006)

Auch bei Bonobo könnte man an dieser Stelle wohl jedes seiner Alben herauspicken. Wieso ich mich für Days to Come entschieden habe, liegt daran, dass Bonobo hier erstmals aus der reinen DJ- und Produzentenrolle zum Bandleader übergegangen ist. Waren die ersten beiden Alben noch größtenteils instrumental, hat sich Multinstrumentalist Simon Green für Days to Come zum einen Sängerin Bajka ins Studio geholt, und zum anderen sein Repertoire mit klassischeren Songstrukturen und größerer Soundpalette versehen. Mit dieser Mischung hat Green nicht nur diverse Preise im Jahr 2006 abgeräumt, sondern nebenbei auch dafür gesorgt, dass Bonobo inzwischen eine absolut fantastische Live-Band sind.

Nun sind zehn Alben in einem Katalog von der Größe Ninja Tunes nicht mal ansatzweise genug, um einen Überblick zu geben. Egal ob sie Coldcut, Clifford Gilberto, Roots Manuva, The Herbaliser oder 9 Lazy 9 heißen: viele vorzügliche Künstler sind hier zu Unrecht nicht aufgeführt. Vielleicht ist das aber auch ein Ansporn für die Leser, etwas tiefer in den Ninja Tune Katalog einzutauchen. In diesem Sinne: auf weitere 20 Jahre!

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