Was interessiert die Welt, oder besser gesagt die Briten an einem – scheinbar – ganz normalen Sommertag? Der Krieg im Libanon? Ein wenig. Die kleine Bush/Blair Mikrofonpanne? Kaum, ist ja schließlich auch schon ein paar Tage her. Nein, was die Briten wirklich beschäftigt ist das Wetter. Das gilt prinzipiell immer, für jede Jahres- und Tageszeit, aber wenn das britische Wetter extreme Maße annimmt, dann ist das etwas ganz besonderes. Und gerade heute, am heißesten Julitag in England aller Zeiten rücken auch Politik, Wirtschaft und, man mag es ja kaum glauben, Celebrity Gossip ins Hintertreffen, wie der Überblick über die zehn am meisten gelesenen News auf der BBC Homepage am heutigen Tage verrät. Zeit, das Phänomen der englischen Wetter-Obsession etwas zu hinterfragen.
When two Englishmen meet, their first talk is of the weather
Ok, die Briten, und vor allem die Engländer lieben ihr Wetter. Oder eigentlich hassen sie es, denn zufrieden sind sie damit grundsätzlich nie. Das entscheidende ist allerdings nicht wie das Wetter ist, sondern dass es überhaupt da ist, kurzum: dass sie ohne ihre tägliche Dosis an Wetterdiskussionen aufgeschmissen wären. Kate Fox bezeichnet in ihrer satirisch angehauchten Anthropologie Watching the English das Phänomen der Wetterdiskussion als eine Form des ‚grooming talk‘. So wie Primaten sich gegenseitig ihr Fell reinigen um sozialen Kontakt zu knüpfen, spricht der Engländer über das Wetter. Dabei spielt das Regelverhalten eine wichtige Rolle: Ein Gespräch mit „Ohh, isn’t it cold?“ zu beginnen zeigt in Wirklichkeit die Bereitschaft von Person A ein Gespräch zu beginnen. Eine mögliche Antwort von Person B wie „Yes, isn’t it?“ deutet auf eine Gegenbereitschaft hin. Es geht demnach nicht um das Wetter an sich, sondern um die Gegenseitigkeit die der übliche Wettertalk hervorruft. Daher ist es auch wichtig eine Wetterdiskussion immer als Frage zu formulieren. Das Wetter ist also ein klassischer Eisbrecher oder Lückenfüller in einer Konversation, das gilt zwar nicht nur für Engländer, aber vor allem die Art und die Obsession mit der Engländer über ihr Wetter reden ist unerreicht.
You must never contradict anybody when discussing the weather
Gegenseitigkeit beruht auf Bestätigung. Daher ist es wichtig die Meinung der Person welche die Wetterdiskussion beginnt zu bestätigen. Eine absichtliche andere Meinung gilt als Bruch der Etiquette und führt zu einer angespannten Stimmung, auch wenn es durchaus möglich ist seine Präferenzen auszudrücken, erst jedoch nachdem man die Meinung bestätigt hat: „Yes, it is cold, but it’s also pretty refreshing after the heat, isn’t it?“
Die Wetterdiskussion in England hat eine wichtige soziale Funktion. Laut Kate Fox ermöglicht es die Schüchternheit (ja richtig, Schüchternheit) der Engländer in sozialen Situationen zu überwinden. Die versteckten Regeln und Codes mit denen die Engländer über das Wetter reden sind eine Erleichterung im Umgang mit anderen Menschen: Die Bestätigungsregel beugt Konflikt vor, die Gegenseitigskeitsregel steht für Höflichkeit. Also doch nicht alles nur Gefasel aus der Langeweile heraus?
Für Ausländer gilt es in England jedenfalls zu beachten dass man das englische Wetter nicht kritisiert, denn auch wenn das Gerede über das Wetter vor allem eine pragmatisch-soziale Funktion hat, so identifizieren sich die Engländer dennoch sehr mit ‚ihrem‘ Wetter; es gehört quasi ‚zur Familie‘, es ist wie mit einem Kind: Man darf sein eigene Brut kritisieren, aber wenn Fremde schlecht darüber reden ist man beleidigt. Und das obwohl das englische Wetter bei weitem nicht sehr spannend ist – Tornados, Schneestürme, Monsunregen – all das kennt man auf der Insel nicht. Umso spannender wenn es dann doch mal etwas aus der Reihe tanzt, wie bei oben genannten Hitzewelle dieses Jahr. Dann wird plötzlich alles andere unwichtig, und die übliche Reserviertheit, die die Engländer bei ihrem Wettertalk an den Tag legen (man neigt selten zu Übertreibungen), weicht schon mal ein klein wenig dem Stolz.
Fakt ist: Die Engländer lieben ihr Wetter, und man muss trotzdem gestehen, dass es auch in England nicht mehr regnet als in Deutschland.
[Quelle: Kate Fox. 2004. Watching the English. London: Hodder.]