Dialekt im Deutschunterricht

SpOn berichtet, dass der Münchner Linguist Wolfgang Schulze dafür plädiert, in Zukunft in der Schule das Fach „Heimatsprache“ einzuführen, da Dialekte angeblich die Sprachvielfalt von Schülern fördern. Durch den PISA Test, bei dem offensichtlich Regionen mit einem stärkeren Dialektgebrauch besser abschneiden, sieht er sich in seiner Annahme bestätigt. Es ist Zeit der absurden Idee etwas auf den Grund zu gehen.

Die besseren Ergebnisse der Pisa-Studie in Baden-Württemberg, Bayern und Sachsen erklärten sie damit, dass Schulkinder aus Dialektregionen mehr Sprachkompetenz aufwiesen.

Der Begriff Sprachkompetenz, der hier offensichtlich im Sinne von Sprachvielfalt verwendet wird, ist irreführend. Kinder, die mit einem Dialekt aufwachsen haben nicht mehr Kompetenz als Kinder die ausschließlich hochdeutsch erzogen werden. Die sprachliche Kompetenz ist die natürliche, veranlagte Sprachfähigkeit, was hier dagegen gemeint ist ist die Performanz – die Art und Weise wie man von der Sprachfähigkeit unter verschiedensten Einflüssen Gebrauch macht. Kinder, die sowohl Dialekt wie Normsprache sprechen, haben dadurch natürlich eine scheinbar gesteigerte Performanz, ganz einfach weil sie aus zwei Variationen wählen können. ‚Klüger‘ sind sie dadurch nicht, und auch nicht zwangsläufig sprachgewandter.

Dialektsprecher müssten zwischen verschiedenen Sprachebenen unterscheiden und trainierten damit ihre Auffassungsgabe und abstraktes Denken. […]
Sei dieser Sprung aber geschafft, seien die Dialektsprecher im Vorteil, weil sie den Wechsel der Sprachebene beherrschten.

Sehr fraglich, da es unklar ist in welchem Maße der Mensch über seine Sprache wirklich reflektiert. Man geht vielmehr davon aus, dass ein Großteil des Sprachgebrauchs im Unterbewusstsein geschieht, d.h. man zwar denkt was man sagen möchte, man aber, in einer normalen Konversation, nur selten darüber nachdenkt wie man es sagt. Wer aus einer Dialektregion kommt und in eine größtenteils dialektfreie Gemeinschaft, z.B. die Stadt gezogen ist, wird kaum bemerken dass er mit den Menschen in der Stadt anders redet als mit Großmutter am Mittagstisch. Und wer Besuch von ausländischen Bekannten hat, wird automatisch seine Betonung und Wortwahl vereinfachen ohne darüber viel nachzudenken. Der erwähnte Wechsel der Sprachebenen ist daher kaum trainierbar, und schon gar nicht erzwingbar. Würde man das annehmen, so wären auch zweisprachig erzogene Kinder im Vorteil, was aber nicht der Fall ist, im Gegenteil, bilinguale Kinder haben in der frühen Phase häufig Probleme zwischen beiden Sprachen zu unterscheiden.

Nachdem die grundlegende Idee des „Heimatsprache-Unterrichts“ schon sehr fahrig ist, geht die geforderte Umsetzung dagegen ins Lächerliche:

Nach Schulzes Vorstellung soll sich der Deutschunterricht aufteilen: Ein Teil soll auf Hochdeutsch, ein anderer auf Dialektdeutsch stattfinden. […] Das neue Fachgebiet müsse gleich behandelt und wie der herkömmliche Deutschunterricht geprüft werden. Auch eine Verschriftlichung der Dialekte stellt sich Schulze vor. Rechtschreibregeln für die Dialekte könnten an den Schulen entwickelt werden.

Da die Zahl der Dialekte in Deutschland wie überall geradezu unüberschaubar ist (es gibt Gemeinden wo jedes Dorf seinen eigenen Dialekt hat), wird es kaum möglich sein Rechtschreibregeln für jeden einzelnen zu finden. Zum einen besteht ein Dialekt aus Wörtern, die sich entweder in der Aussprache vom Hochdeutschen unterscheiden, oder aus Wörtern, die es schlicht und ergreifend nicht gibt – Aussprache und Rechtschreibung sind hier keine Grenzen gesetzt. Bsp: Apfelwein – ? Äppelwoi – ? Ebbelwoi – ? Eppelwoyn.

Ferne haben einige Dialekte nicht nur eine andere Aussprache, sondern auch andere grammatische Eigenschaften, von Wortstellung bis hin zu morphologischen Neubildungen (z.B. die Form „Sie hand ea zwee“ = „Es sind zwei“ im Mittelbayrischen). Die Entwicklung eines adäquaten Regelwerks würde Jahre dauern, sofern es überhaupt möglich ist, und sprachliche Narrenfreiheit würde den Schülern kaum zu Gute kommen.

Auch die nächste Forderung von Herrn Schulze wird kaum realisierbar sein:

Von den Lehrern verlangt er, dass sie die regionalen Sprachvarietäten lernen. Dass dabei Hürden für den Wechsel etwa eines Deutschlehrers aus Niedersachsen nach Bayern entstehen, nimmt er in Kauf: „Ein Lehrer, der den Dialekt seiner Schüler nicht kennt, kann ihn nicht stützen“, so Schulze.

Auch wenn es im tiefsten Bayern scheinbar noch Schulen gibt, in denen eine Klasse wirklich nur aus Kindern besteht die dort aufgewachsen sind, so ist es doch eher häufiger anzutreffen, dass eine Klasse zu einem gewissen Grad aus Ausländern oder Hinzugezogenen besteht, die Sprache in der Klasse also aus unterschiedlichsten Dialekten besteht, wie im Text kritisch angemerkt wird. Die Antwort von Schulze fällt lapidar aus:

Schulze findet das unerheblich: Die Lehrer sollten einfach die vorhandenen Sprachformen gemeinsam mit den Schülern studieren, etwa per Tonaufzeichnung im Unterricht.

Wenn nun also der kleine Hans aus dem beschaulichen Kiel in den bayrischen Wald zieht, wird er kaum den ansässigen Dialekt sprechen, und vermutlich auch nicht so schnell lernen, da er zuhause nicht damit konfrontiert wird. Gleichzeitig muss der engagierte Deutschlehrer auch den anatolischen Dialekt von Murat lernen, der gerade mit seinen Eltern aus der Türkei nach Deutschland gekommen ist, denn, so Schulze: „Ein Lehrer, der den Dialekt seiner Schüler nicht kennt, kann ihn nicht stützen.“

So absurd die Idee ist, in einem Konzept muss ich dem Sprachwissenschaftler Recht geben:

Die „Heimsprache“ der Kinder werde dagegen oft abgelehnt und in negativen Gegensatz zur Normsprache gesetzt. Mit Sätzen wie „So sagst du zwar zu Hause, aber hier hast du es gefälligst so zu sagen“ werde der ungesteuerte Erstspracherwerb von zu Hause in der Schule wieder zerstört.

Auch wenn man den Dialekt nicht wirklich als Erstsprache ansehen kann, da es lediglich eine Variation der Muttersprache ist, und Kinder ohnehin die so genannte „Normsprache“ erwerben, sei es durch Bücher, Hörspiele, Fernsehen oder vermutlich durch die Eltern selbst, so herrscht generell eine Ablehnung von Dialekten vor. Fakt ist jedoch, dass es keine bessere oder schlechtere Sprache gibt. Ein Dialekt wird zwar gerne als Evidenz für niedrigen Status gesehen, was aber linguistisch gesehen totaler Blödsinn ist, da auch die „Norm“, das Hochdeutsche, nichts weiter als ein Dialekt ist, der im Laufe der Zeit an Prestige gewonnen hat.
Diese Normsprache ist unumgänglich, da sonst eine geregelte Kommunikation unmöglich wäre, allerdings garantieren Dialekte nicht nur die Sprachvielfalt, sondern tragen auch wiederum zur (Weiter-)Entwicklung der Normsprache bei. Die Stigmatisierung von Dialekten, die paradoxerweise eben genau durch die Medien und die darin verwendete Normsprache vorangetrieben wird (bestes Beispiel: der oft zitierte ‚Ossidialekt‘), gilt es abzuschaffen.

Fazit: Ein Miteinander von Normsprache und Heimatsprache ist wichtig, aber die Schulen sollten sich in erster Linie bundesweit auf gleicher Ebene bewegen. Das gleichzeitige Unterrichten zweier Variationen der Muttersprache würde die Kinder verwirren und verunsichern, Dialektforschung im Sinne von Projektwochen dagegen könnte durchaus positiv sein, auch wenn es darum geht Vorurteile aus dem Weg zu räumen.

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