Das (angebliche) Ende des Musikfernsehens

Musikfernsehen ist tot? Und das Internet hat es getötet? Alle Nietzsche Anspielungen beiseite, noch vor weniger als zwei Jahren galt das Musikfernsehen als tot, mausetot. VIVA hat spätestens mit der Umstellung von VIVA 2 zu VIVA Plus im Jahre 2002 jegliche Credibility im Alternative Bereich verloren, und sich nach der Übernahme durch Viakom zum quietschbunten Klingeltonsender entwickelt – dem Jamba! Boom sei Dank. Dem nationalen Konkurrenten und Platzhirsch MTV erging es nicht besser: Wo früher zumindestens teilweise informative Musiksendungen liefen, duellieren sich inzwischen Teenager in hoffnungslos gescripteten Dating-, Game- und Realityshows, produziert vom amerikanischen Mutterkonzern und mit lieblosen Untertiteln unterlegt. Auch in anderen Ländern sieht die Situation nicht viel besser aus. In Großbritannien strahlt VH1 Mode- und Fashiondokus am laufenden Band aus, andere Sender verlagern ihr Programm immer mehr in das profitablere Gebiet der Comedy. Kurzum: Man bekommt alles, nur keine Musikvideos, und schon gar keine jenseits des Mainstreams.

Hier kommt nun das Internet ins Spiel. Web 2.0, Social Networking, Streaming Media, Blogosphäre, die Begriffe sind bekannt, gelobt und verdammt – je nachdem welchen Standpunkt man vertritt. Geht es nach der TV- und Musikindustrie, dann ist das Internet der Teufel persönlich, sämtliche Innovationen und neuen Absatzmärkte werden zunächst ignoriert. Als logische Konsequenz darbt auch das Musikfernsehen, die ehemalige Schnittstelle zwischen Audio und Video. Natürlich ist das keine neue Erkenntnis, Artikel über den Untergang des Musikfernsehens gibt es reichlich, weswegen wir die leidige Diskussion auch gar nicht vertiefen wollen. Vielmehr stellt sich die Frage, ob denn das Internet wirklich das Musikfernsehen abgelöst hat, oder ob sich einfach die Art geändert hat. Laut einem durchaus informativen Artikel der FAZ vom 19.5.2006 haben „Musikvideos für das knapp kalkulierende Musikfernsehen an Attraktivität verloren“. Dieser Fakt ist bekannt und spiegelt sich in der momentanen, oben beschriebenen, Qualität des Musikfernsehens wieder. Doch gleichermaßen betont Autor Daniel Haaksman, dass ein solcher Schritt nicht grundsätzlich negativ ist:

Alle Indikatoren scheinen den Untergang einer Gattung zu bestätigen: Doch vielleicht konnte dem Musikvideo gar nichts Besseres passieren, als sich langsam aus dem Musikfernsehen verabschieden zu müssen. Denn just in dem Moment, wo das Ende der Kunstform Music-Clip beschworen wird, beginnt das Internet die Monopolstellung, die das Fernsehen auf seine Ausstrahlung hatte, zu brechen […]. Wie oft bei der Einführung neuer Technologien verändern sich etablierte Medienformate, und neue treten hervor. Dem Video-Clip geschieht heute das gleiche wie vor einigen Jahren der sich digitalisierenden Musik.

Doch hat sich wirklich so viel geändert? Die Rezeption bleibt letztendlich die gleiche, mit dem Unterschied dass anstelle des TV Bildschirms der Monitor steht. Da in der vom Musikfernsehen angepeilten Zielgruppe immer mehr Zuschauer vor dem Computer als dem TV Gerät sitzen, ist diese Entwicklung ebenfalls nicht verwunderlich. Klar, das Internet ist ein anderes Medium als das Fernsehen, aber kann man es wirklich als den Untergang von eben jenem bezeichnen? Machen es sich die Macher bei MTVIVA nicht etwas zu leicht, indem sie ihre schwache Programmgestaltung alleine dem Aufschwung von Flatrates, Highspeed DSL und YouTube zuschreiben, oder hat man hier ganz einfach, wie die Musikindustrie zur Jahrtausendwende, einfach den Anschluss verpasst? Das Musikfernsehen ist nicht tot, es hat nur seinen angestaubten Mantel abgelegt und die Behausung gewechselt: Das Internet hat das Musikfernsehen nicht abgelöst, es ist das Musikfernsehen geworden. Um noch etwas weiter zu gehen, möchte ich behaupten, dass das Musikfernsehen inzwischen eine Renaissance erfährt, die sich in den nächsten Jahren noch deutlicher zeigen wird.

Als gemeinhin größter Vorteil des Internets gegenüber des Fernsehens wird die Selbständigkeit des Users genannt; Der Internetnutzer kann genau entscheiden was er sehen möchte, danach suchen und es sich anschließend anschauen. Wer morgens um 4 Uhr bei einem Absacker und einer Scheibe Toast unbedingt noch die Live-Version von Iron Maidens Fear of the Dark anno 1992 (gibt’s wirklich) vor dem Schlafengehen hören muss, wird schnell auf YouTube fündig. Stichwort YouTube: Das inzwischen umfassendste (Musik)Videoarchiv weltweit gehört sicherlich zur Speerpitze des digitalen Musikfernsehens. Man kann fast sagen: Was es auf Youtube nicht gibt – gibt’s nicht. Trotz gewisser Vernetzung der einzelnen Videos durch Tags gilt dennoch für Youtube: Man muss suchen um zu finden. Hier kommen nun die allseits beliebten Blogs ins Spiel, die uns das Programm liefern, was uns die Musiksender nicht mehr geben können, obwohl sie das gleiche tun: Sie selektieren Videos und zeigen sie uns. Natürlich sind wir nicht gezwungen auf den kleinen „Play“ Button zu drücken, soviel Freiheit bleibt uns, aber wer hat beispielsweise damals nicht dieses entsägliche Video der Group Tekan gesehen, obwohl man schon im Voraus wusste dass man seine Gehör- und Gehirnzellen riskiert. Hier ist die Parallele zum Fernsehen: Was uns schmackhaft gemacht wird, wird geschaut. Der Vorteil ist, dass man im Internet, frei von Kostenfragen und Profit, ein ungeheuer breites Spektrum bekommt.

Daher ist es nicht verwunderlich, dass sich immer mehr Blogs Und Vodcasts bilden, die sich auf Independent Musikvideos konzentrieren: Videos.Antville, Cliptip, Robidog, DoCopenhagen sind nur einige, dazu gibt es immer mehr Magazine, die sich zusehends auf Musikvideos spezialisieren, wie Pitchforks Forkcast oder das Fader Mag Blog. Selbst Werbung gibt es für alle, die nicht ohne können.
Auch die Industrie hat inzwischen darauf reagiert: Nach anfänglichen Klagen gegen Youtube zwecks Urheberrechtsverletzungen, gibt es inzwischen immer mehr Labels, die einen eigenen Youtube Channel haben, und dort ihre Musikvideos anpreisen – Domino Records zum Beispiel. Ferner mögen wir Zuschauer es immer noch, wenn wir unsere Videos vorselektiert bekommen, denn prinzipiell gilt: Was in Blogs läuft, ist cool (siehe -> Hype Blogs). Genau wie es früher cool war Nirvana zu hören, weil Kurt Cobain ständig auf MTV zu sehen war.

Nachdem die Semantik geklärt ist, bleibt nur noch eine Frage: Warum? Nicht warum das Internet in dem Bereich auf dem Vormarsch ist, sondern warum der potentielle Zuschauer Musikvideos in bescheidener Bildqualität á la Youtube akzeptiert. In einem Zeitalter, das ganz in Richtung Qualitätsmaximierung strebt, erscheint mir die Entwicklung etwas paradox. Bei Musik geht inzwischen kaum etwas unter 320kbps oder zumindestens einem hohen VBR Setting, der Trend geht gar in Richtung Lossless Audio. TV Geräte mit HDTV werden allgegenwärtig angepriesen, Blu-Ray Discs und SACDs sind auf dem Vormarsch. Und was macht der Videoliebhaber? Er schaut sich das Video seiner Lieblingsband im pixeligen Youtube Flashformat an, knarziger Sound inklusive. Und er akzeptiert es: Selten lese ich wirkliche Beschwerden über die Qualität von Youtube. Natürlich lässt sich argumentieren, dass sowohl die aktuellen Uploadkapazitäten der User und Youtube nicht für höhere Qualität ausreichen, was sich sicherlich in den nächsten Jahren ändern wird. Man kann auch sagen, dass man einfach einen Kompromiss eingeht, und angesichts der riesigen Auswahl Qualitätseinschränkungen in Kauf nimmt. Der wichtigste Grund wird jedoch sein, dass es einfach nichts besseres gibt zur Zeit, und den Vergleich zur ‚Oldskool Music TV‘ hat Youtube längst gewonnen.

Und so schließen wir diesen kleinen Gedanken. Das Musikfernsehen bleibt weiterhin am Leben, mit oder ohne Nietzsche, aber dank des Internets. Wer also behauptet, dass Musikfernsehen sei tot, der nimmt es einfach etwas zu genau mit der Definition von Fernsehen. Das Internet ist Musikfernsehen 2.0, und auch wenn wir weiterhin auf Youtubes Pixelpudding angewiesen sind (der ja für Amateurvideos absolut ausreichend ist), so gibt es immer noch gute und anspruchsvolle Videos, die nicht immer eine halbe Million Dollar kosten müssen. Man muss nur wissen wo man suchen muss, aber das hat ja auch seinen Reiz.

3 Comments

  1. Matthias

    Bei Stage6 gib es Musikvideos auch in besserer DivX-Qualität. Meines Wissens noch keine offiziellen Channels, aber das ist ja nur eine Frage der Zeit. Der kommende Flash-Release kann H.264, und Microsoft bringt Silverlight. Natürlich hast du immer noch recht mit deiner Zustandsbeschreibung, aber bessere Qualität ist nur eine Frage der Zeit.

  2. Niels 23

    Das Fernsehen hat m.E. das gleich Problem wie Formatradio: zu stromlinienförmig.
    Vordergründig erfolgreich, auf lange Sicht aber einfach fade, selbst für diejenigen, die den weichgespülten Krempel nachfragen.

    Was ich persönlich nie verstehen werde ich der freiwillige Verzicht auf HiFi – das gehört für mich einfach zur Musik dazu.
    Vor einigen Jahren stellte sich jeder 5.1-Anlagen ins Wohnzimmer. Und nun werden Videos auf streichholzschachtelgroßen Telefondisplays geschaut.

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