Feature: Best of 2012

Ich weiß, bis ich hier komme haben die ersten haben schon wieder mit ihrem Best Of für 2013 angefangen. Aber der Jahreswechsel war stressig, das Internet in der Pampa langsam, der Laptop-Bildschirm wirklich arg klein. Und dann hatte ich auch nicht die gesamte Musik des Jahres auf dem iPod dabei. Aber wer will schon faule Ausreden hören. Entscheidend ist doch, dass diese Tradition nun auch im achten Jahr in Folge bestehen bleibt, auch wenn es mal ein paar Tage länger dauern sollte. Wie auch immer, hier kommen nun ohne viele Worte ganz viele weitere Worte. Die besten Alben des Jahres, garantiert subjektiv ausgewertet. Und wer bis zum Schluss dabeibleibt, bekommt noch ein paar Singles obendrauf, wobei ich da dieses Jahr so wenige gehört habe, dass die Auswahl recht einfach fiel.

Alben

John Talabot – ƒIN (Permanent Vacation)

Es ist ja ein Gag, im Januar schon das „Album des Jahres“ zu skandieren. Ich glaube aber nicht, dass ich im Fall von John Talabot diesmal falsch lag. Der DJ aus Barcelona hat sich nach kurzen Stippvisiten auf Permanent Vacation für sein Debütalbum nämlich gedacht, mal zwischen House, Disco und Indie alles zusammenzubasteln und dann zu hoffen, dass es auch noch gut klingt. Und das tut es – auch ein Jahr später noch. Auf den elf Tracks spielt Talabot mit den Genres, vermengt auf Destiny scheinbar mühelos balearische Percussion mit eingängigen Vocals, nur um im folgenden El Oeste dann plötzlich mit pulsirenden Retro-Synths wie ein letzter Discoblitz aus den Achtzigern zu klingen und zum Schluss mit When the Past was Present dann noch einen lupenreinen Dancefloorschaukler aus dem Hut zu zaubern. Und doch klingt das alles nach einer Idee, nach einer Vision, wie Talabot hier die Snares und Hi-Hats einsetzt und um seine eigentlich simplen Drum-Sequenzen dieser Melodien und Emotionen aufspannt, das sich am Ende auch noch jedes Klangfragment grinsend in den Armen liegt. Wenn schon nicht das Album des Jahres, dann mit So Will Be Now wenigstens einen der Tracks des Jahres. (Preview)

Lone – Galaxy Garden (R&S)

Als das Album im Frühjahr rauskam, habe ich es zunächst abgeschrieben, war zu nervös, hab ich nicht verstanden. Dann irgendwann, im Sommer, habe ich es nochmal auf dem iPod reingehauen, zur Heimfahrt von der Arbeit. In der Berliner Oranienstraße habe ich auf dem Fahrrad schon ziemlich mit dem Kopf zu Lying in the Reeds genickt, sodass die Autofahrer vermutlich dachten, ich hätte ne Macke. Auf dem Engeldamm in Kreuzberg bin ich dann zu Raindance im Stehen Schlangenlinien auf dem Radweg gefahren, so euphorisch hat mich dieser Track gemacht. Und er und seine Kollegen tun es noch immer. Ja, natürlich ist Lone immer etwas hyperaktiv, immer nah an der Grenze von genau-richtig zu over-the-top, aber wenn man sich auf diese Retro-Breaks und knallbunten Synths einlässt, auf diese Melodien, die da immer wieder auf- und durchbrechen, kommt an Galaxy Garden niemand mehr vorbei. Wenn Rave früher so klang, besorgt mir bitte eine Zeitmaschine. (Preview)

Earth House Hold – When Love Lived (Love’s Label)

Anfang des Jahres kam die Info, dass Bvdub unter dem Alias Earth House Hold auf Love’s Label veröffentlichen wird. Das ist erstmal nichts Besonderes bei dem hohen Output von Brock van Wey. Doch Earth House Hold ist anders, denn es ist mit das housigste Projekt, dass sich der Ambient-Maestro bis dato einfallen ließ (sehen wir von den Knowone-Sachen einmal ab). Und so ist das Debüt auch ein Genuss für alle, die sich Bvdub schon immer mit etwas mehr, nun ja, Kickdrum wünschten: Die nämlich kommt auf allen Tracks vor. Natürlich sind diese immer noch alle um die zehn Minuten lang und nehmen sich ihre Zeit für den Aufbau, die zerbröckelnden Vocals gibt es weiterhin, auch die zarten Piano-Klänge. Das reicht deshalb auch noch nicht für den Dancefloor, aber selten war Bvdub so fokussiert, so greifbar, so direkt wie auf When Love Lived. Während viele anderen auf den Deep-House-Zug der vergangenen Jahre aufsprangen, hat Brock van Wey einfach seinen eigenen Entwurf umgesetzt. Ein Entwurf, der in Ton und Emotionalität ein wenig an DJ Sprinkles epochales Midtown 120 Blues erinnert. Und das ist ein großes Kompliment. (Preview)

Legowelt – The Paranormal Soul (Clone)

Ich gebe zu, ich habe mir im Jahr 2012 mit Techno schwergetan. Ich war wenig in Clubs und wenn, dann lief dort meistens House. Liegt’s am Alter? Ich hoffe nicht. An Übersättigung? Schon eher. Vielleicht kam zum Ende des Jahres dann Legowelt gerade richtig, um mir zu zeigen, wie es doch geht. Der Niederländer hat nämlich mit The Paranormal Soul ein Album produziert, das zum einen das techno-typische, sequenzielle Treiben aus den Drums heraus mit den eher breiteren, atmosphärischen House-Melodien verknüpft. Danny Wolfers war mir in der Vergangenheit immer ein bisschen zu schrullig mit diesem dezidierten niederländischen Electro-Einschlag, aber auf seinen letzten beiden Alben hat er seien Stil gefunden und beschwört damit die großen Techno-Geister, die im kleinen verrauchten Club ähnlich gut funktionieren wie auf dem großen Floor. Eigentlich ist es lustig, dass ausgerechnet ein Album, das über seinen Retro-Faktor funktioniert, frischer klingt alles vieles, was sich heute Techno nennt. Aber das ist eine andere Diskussion. (Preview)

Joey Bada$$ – 1999

Dank Ke$ha und Konsorten bin ich ziemlich gut darin geworden, sämtliche Künstler mit Dollar- oder Sonderzeichen in ihren Namen rigoros zu ignorieren. Im Fall von Joey Bada$$ war das ein großer Fehler, denn so habe ich den vielleicht – aufgepasst – besten New Yorker MC seit Jahren erst später kennengelernt, als seine Mixtapes 1999 und Rejex schon überall, von den Blogs zur New York Times, abgehandelt wurden. Man kann ja die jungen Rapper schnell überschätzen, und wenn einer erst gerade zarte 17 ist wie Joey Bada$$, ohnehin. Aber wann, wenn nicht so früh zeigt sich wirkliches Talent in den Reimen und der Darbietung? Eben. Und auch sonst passt fast alles: Die Beats sind relaxt-jazzy und trotzdem frisch, die Lyrics erstaunlich erwachsen und kommt größtenteils ohne die szeneübliche Profanität aus. Ein Album, das problemlos auch vor 15 Jahren hätte erscheinen können und doch mehr Status-Quo ist als vieles andere. Und man fragt sich, was kommt von dem Burschen aus Flatbush in Zukunft noch? (Preview + Download)

Beach House – Bloom (Sub Pop)

Wo sich andere Bands mit ihrem vierten Album schon längst in sicherer Genugtuung aufgeben, feilen Beach House offenbar einfach immer weiter an ihrer eigenen Vision von Pop. Inzwischen auch gerne mal ohne den Vorsatz “Dream”. Denn Songs wie Wild, New Year und das tösende Wishes zeigen, das Beach House längst ihre alten Hipsterhosen abgelegt haben: Die Drums etwa sind präsenter, die Hooks eingänglicher, die Arpeggios euphorischer und Legrandes Songwriting präziser. Das ist zugänglich, ohne die sympathische Verschrobenheit vermissen zu lassen, die immer wieder durchblinzelt, wenn man gerade das Gefühl hat, es sei vielleicht doch etwas zu geschliffen. Aber keine Angst, Bloom behält alles Gute des Duos bei: Dieses Gefühl schwermütiger Nostalgie, wenn sich Legrandes Contralto erhebt und in Songs wie Other People “was it ever quite enough?” fragt oder in Troublemaker schwierige Beziehungen resummiert. Die Melodien, die sich unerwartet aufbauen und dann plötzlich einschlagen. Und natürlich auch die Euphorie, die einen immer wieder überkommt. Denn Beach House waren zwar schon immer melancholisch, aber nie bedrückend. Und vielleicht nie optimistischer – und besser – als heute. (Preview)

Dictaphone – Poems from a Rooftop (Sonic Pieces)

Nein, die schnellsten waren die Jungs von Dictaphone wirklich noch nie. Sechs Jahre ist Vertigo II, damals noch auf CCO, schon wieder her. Und jetzt? Neues Label, alter Sound. Langsam, wabernd. Und doch neu. Geheimnisvoll. Bizarr. Ja, man muss diesen Sound schon mögen, der immer an der Grenze von Klassik, Field Recordings und Musique Concrete arbeitet. Und er arbeitet wirklich, er fiepst und faucht bisweilen, entfernte Samples erzählen Geschichten vergangener Tage und die Instrumentierung klappert und scheppert, bis dann doch die Streicher herkommen oder, aufgepasst, sich Gesang breitmacht! Am Schluss sind es 40 neue Minuten aus dem Dictaphone-Kosmos. Die sind nicht immer einfach, klar. Aber immer belohnend. Da lohnt sich doch das Warten. (Preview)

Aesop Rock – Skelethon (Rhymesayers)

Man kann Aesop Rock nicht vorhalten, nach seinen ersten Alben andere Wege gegangen zu sein, sowohl in Sachen Wohnort (er zog von New York an die Westküste), als auch musikalisch. Sich lieber neu erfinden als für immer als Posterboy des Underground Hip Hop herzuhalten. Vielleicht war das eher mittelmäßige None Shall Pass (2007) auch nur eine Zwischenstation auf dem Weg zu Skelethon. Das nämlich, erstmals von Bavitz alleine produziert, enthält nämlich das beste vom neuen und alten Aesop Rock: Die endlosen Wortstränge und Metapherketten etwa, deren Assoziationen und Bedeutung ganze Bücher füllen könnten und nur von Bavitz in seinem idiosynkratrischen Stil funktionieren. Und natürlich die Beats, die deutlich weniger düster sind als noch vor zehn Jahren, und die wie schon beim Vorgänger mehr eingespielte Instrumente enthalten, aber sich trotzdem diesen futuristischen Touch bewahren. Nein, das ist nicht mehr der apokalyptisch-fiebrige Aesop Rock aus Def-Jux-Zeiten, aber seine surrealen Erzählstränge können dem geneigten Hörer noch immer ausgezeichnet das Gehirn verknoten. (Preview)

Angel Haze – Reservation

Den besten Beweis, dass Mixtapes inzwischen besser sind als jede Promo brachte in diesem Jahr die junge Angel Haze, die auf Reservation die Messlatte für weibliche MCs ein ganzes Stück höher legte und die Szene aufhorchen ließ. Hier war eine junge Frau, die so bedingungslos reimte und so viel Punch in ihre Zeilen packte, das am Ende nicht nur brennende Mics sondern auch viel verbrannte Erde übrig bleibt, so direkt und scharf, so persönlich und bisweilen verbittert sind die Zeilen. Auf einige der besten Beats des Jahres (Werkin Girls) setzt Haze zum Rundumschlag gegen das Geschäft und ihre Vergangenheit mit sexuellem Missbrauch und Kult-Zugehörigkeit an. Doch das wahrlich Erstaunliche ist, dass Haze es nicht bei diesen persönlichen Abrechnungen (Cleaning Out My Closet ist der vielleicht bedrückendste Rap-Track seit Jahren) belässt, sondern die andere Hälfte ihres Mixtapes mit sanfteren Tracks füllt, gelegentlich sogar singt. Lange gab es keinen weiblichen MC mehr, der scheinbar so mühelos die Stimmungen und Genres von Track zu Track wechselte. (Preview + Download)

DIIV – Oshin (Captured Tracks)

Das obligatorische Gitarrenalbum. Traditionell habe ich auch in diesem Jahr wenig Indie oder gar Rock gehört, deshalb fehlen mir auch die Vergleiche. Was ich sagen kann: DIIV spielen Indie an der Grenze zu Dream-Pop, mit eingängigen Melodien im kurzen Song-Format und einem Sänger, dessen Stimme und Lyrics bewusst im Hintergrund gehalten werden und sich bestenfalls in kurzen Eruptionen Klarheit verschaffen. Das funktioniert, weil es DIIV gelingt, über den Rhythmus und die Melodien ihren musikalischen Charakter aufzubauen und daher auch gar nicht auf die großen Texte angewiesen sind. Die Stimme ist auf Oshin bloß ein weiteres Instrument, das gemeinsam mit vielen kleinen „Hach“-Riffs und subtilen Tempoverschiebungen das Album zu einer kurzweiligen – und durch und durch hörenswerten – Angelegenheit macht. (Preview)

Holy Other – Held (Tri Angle)

Es gab in diesem Jahr (und schon im vergangenen) einen Trend zu einer Art verträumt-mystischen Elektronika, die viele gelungene Projekte aufgegriffen haben: Vondelpark und Stumbleine würde ich dazu zählen, aber auch How to Dress Well und Mount Kimbie. Sie alle machen Musik, die eindeutig elektronisch ist, aber mit einem gewissen Songcharakter. Musik, die nicht ist, auch mal Gitarren und Gesang einzustreuen. Holy Other, der Mann aus Manchester ist von allen genannten vielleicht der elegischste. Held ist ein Album aus der Beziehungstiefe, mit vielen verrauschten, burialesken R’n’b-Vocals und einem durch und durch gemächlichen Tempo, das in Momenten wie Love Some1 dann plötzlich voller Emotionen ausbricht und am Ende dann doch wieder nach Versöhnung klingt.

Epidemic – Monochrome Skies (Mic Theory)

Viele Rap-Alben sind heutzutage so konzipiert, dass jeder mal randarf, ob nun als Gast-MCs oder Produzent. Das dachten sich vielleicht auch die beiden Jungs von Epidemic (aka HexOne und Tek-Nition) und haben die ganze Sache mal zurückgefahren. Die Beats kommen hier nämlich ausschließlich vom Luxemburger Produzenten Jesse James, die Guest-Spots sind auf zwei, drei Tracks beschränkt. Das tut dem Album gut, weil es wie aus einem Guss klingt. Die Darbietung der beiden MCs aus Florida ist spot-on und die Beats sind wunderbar kopfnickender Retro-Boom-Bap mit entspanntem Flair. Natürlich reißt das keine Experten vom Hocker, denn dafür sind die Samples teilweise doch etwas altbacken (ich sag nur From 93 Till Infinity), aber vielleicht gehört das auch zum Konzept, den Klassikern zu huldigen. Unter die Rap-Alben des Jahres, die man uneingeschränkt von Anfang bis Ende hören kann, gehört Monochrome Skies jedenfalls definitiv. (Preview)

Loscil – Sketches from New Brighton (Kranky)

Scott Morgan ist als Loscil alles andere als ein Unbekannter. Seit seinem Debüt im Jahr 2001 veröffentlichte er im Schnitt alle zwei Jahre ein Album. Mit Sketches from New Brighton hat er seinen Ambient-Sound endgültig verfeinert. Der Name stammt von einem kleinen Park in Vancouver, den Morgan als Basis und Interpretation nahm, während er die Schiffe im angrenzenden Hafen beobachtete. Ganz ähnlich klingt dann auch das Album, wenn die Tracks wie große Dampfer ineinander fließen, unaufgeregt aber doch immer bestimmt, und in kleinen orchestralen Höhepunkten kumulieren. Das klingt teilweise ein wenig nach Pole, mit seinen elektronischen Tupfern und den grollenden Sub-Bässen, ein wenig nach dem melancholischen, „nordischen“ Ambient von Biosphere und auch ein wenig nach Badalamenti und Bohren & der Club of Gore in seiner dunkeljazzigen Soundtrackhaftigkeit. Und man fühlt sich als Hörer sofort in diese Weiten versetzt, wo der Schnee unberührt liegt und die Tannenwälder gerade so viel Licht durchlassen, um die nächste Lichtung erkennen zu lassen. Das Ambient-Album des Jahres.

Black Elk – Sparks (Experimedia)

Die „Ambient-Supergroup“: Unter dem Namen Black Elk haben sich in diesem Jahr die Engländer Danny Norbury (The Boats), Ian Hawgood, Clem Leek und Tim Martin (Maps & Diagrams) zusammengeschlossen. Herausgekommen ist dabei Sparks, 46 Minuten feinstes Ambient, 46 Minuten beatloser Klangräume, die immer wieder von zarten Piano-Tupfern durchleuchtet werden und in denen sich zaghafte Streicher und unter dem Klangteppich hervor lugende Elektronika vorsichtig annähern. Auch in diesem Jahr ist diese Kombination wieder der ideale Soundtrack für ein entspanntes Arbeiten oder gepflegtes Einnicken, wenn die Tage kürzer werden. (Preview)

Purity Ring – Shrines (4AD)

Eigentlich eines dieser Alben, die ich hassen müsste. Ein junges Pärchen, das Synth-Pop macht. Naja, im weitesten Sinne. Und natürlich kann man Purity Ring einen kleinen Hipster-Bonus nicht abschreiben. Aber irgendetwas hat es, diese glasklare Percussion, die hier von Corin Roddick den Synths entgegengepeitscht wird, und die Vocals von Sängerin Megan James, die sicherlich nicht mit dem größten Timbre glänzt, aber dennoch zu diesem Pop-Entwurf passt. Und vielleicht liegt genau darin die Stärke von Shrines: Das hier ein Entwurf so konsequent umgesetzt wurde und am Ende tatsächlich ein paar Tracks zum Mitnicken und Mitsummen geblieben sind. (Preview)

Chromatics – Kill for Love (Italians Do it Better)

Ein Album mit einem Cover von Neil Young zu eröffnen kann ja auch nicht jeder. Aber irgendwie haben es Chromatics schon immer geschafft, auch Rock’n’Roll Emotionen unter ihren kleinen neonleuchtenden Synthpop-Hut zu bekommen. Und auch deshalb wirkt Hey Hey, My My nicht etwas peinlich, sondern ist tatsächlich eines der besseren Cover des Klassikers. Im weiteren Verlauf zeigen Chromatics dann, dass auch sie in den vergangenen Jahren auf dem Weg zum vierten Album noch einmal gewachsen sind, ihren Sound geschliffen haben. Ein bisschen M83 hört man in den euphorischen Momenten des Albums heraus, ein wenig (die späteren) New Order in den poppigeren Augenblicken, die wie kleine akustische Perlen sorgfältig aufgezogen sind und immer dann aufbrechen, wenn sich etwas Schwere breitmacht. Denn die Band aus Portland mag vielleicht ein jugendliches Funkeln haben. Doch am Ende klingt Kill for Love wie eine Autofahrt durch die nächtliche Großstadt – euphorisch der Beginn, verkatert-sentimental der Heimweg. (Preview)

Toby Dreher – Freiluft (Rotary Cocktail)

Toby Drehers Freiluft beginnt gemächlich. Dicke Dubschwaden ziehen durch den Gehörgang, aus der Ferne scheint Wasser zu fließen. Nur langsam taucht so etwas wie eine zarte Bassline auf. Und dann, plötzlich, nach 3:30 Minuten knallt es, als Dreher die Drums reindreht und mit ordentlich Echo und Reverb nachspült. Es sind Momente wie diese, die Drehers Debütalbum so wunderbar überraschend machen, die das Spannende im eigentlich schon abgegrasten Dubtechno wiederfinden. Und Dubtechno nämlich ist Freiluft wohl zu großen Teilen, auch wenn hier noch viel mehr Elemente mit hineinspielen. Die futuristischen Techno-Skizzen von Shirly etwa, das psychopathische Headrush, das wallende Naked by Nine und auch das fast schon poppige Paprika. Jeder Track ein freischwebendes Gedicht im Raum. (Preview)

Andy Stott – Luxury Problems (Modern Love)

Natürlich war Andy Stott schon immer einer der ungewöhnlichsten Künstler im Stall von Modern Love, aber dass er mit Luxury Problems so eine Demonstration seines Könnens bietet, hätte dann doch niemand gedacht. Wie die orange-gelbene Nacht über den Straßen Manchesters fliegen hier die musikalischen Partikel durch die Ohrmuscheln, ein ständiges Rauschen, nur durchbrochen von den dahin shuffelnden Beats und den gebrochenen Vocals von Sängerin Alison Skidmore, die hier auf einigen Tracks mal mehr, mal weniger geradeaus singt. Meist aber spielt Stott mit diesen Stimmfragmenten und spielt sie mit einem kompromisslos vor sich hin pumpendem Bass aus, loopt und verschachtelt sie, sodass zum Schluss ebenso viele Fragen wie Erstaunen übrig bleibt. (Preview)

Shortlist

Bersarin Quartett – II
El-P – Cancer for Cure
Grimes – Visions
Shigeto – Lineage
Cat Power – Sun
Bvdub – Serenity
Erdbeerschnitzel – Tender Leaf
Jens Lekman – I Love What Love Isn’t
Claro Intelecto – Reform Club
Tolga Fidan – Rogue
The Boats – Ballads of the Research Department
Flying Lotus – Until the Quiet Comes
Journalist 103 – Reporting Live
Stumbleine – Sunshine Girls

 

Singles

Koreless – Lost in Tokyo (Vase)

Wenn nicht einer der besten Songs des Jahres, dann wenigstens der definitiv zu kürzeste beste Song des Jahres. Denn mit gerade einmal dreieinhalb Minuten ist Lost in Tokyo eigentlich ein Witz. Aber vielleicht gerade deshalb so magisch, da hauchend wie eine kurze Brise, die durch die neongelben Straßen der Großstadt weht, und dich am Ende kurz um die Nase kitzelt und daran erinnert, wie vergänglich das alles ist. (Preview)

Todd Terje – It’s The Arps (Smalltown Supersound)

Terje war schon letztes Jahr hier dabei, und mit Inspector Norse kommt man auch in diesem Jahr nicht am Norweger vorbei. Die A-Seite dieser EP ist einfach ein wunderbar warmer, hüpfender Disco-meets-House-Track mit einem so hohen Wiedererkennungswert, dass man ihn auch noch drei Floors weiter im Club hört. Der perfekte Einstimmungssong. (Preview)

VA – Pampa 012 (Pampa)

Wie ja einige wissen, ist der Name dieses Blogs einem gleichnamigen Song von Matthew Herbert entliehen. Einem Song, der in einer zweiten Instanz auf seinem Erfolgsalbum Bodily Functions auftauchte. Der Stand-Out-Track auf damals war aber ein anderer, nämlich It’s Only mit Vocals von Dani Siciliano. Zwölf Jahre später hat sich DJ Koze diesen Track nochmals geschnappt und für sein eigenes Label in einen dunkel-betörenden Dancefloor-Schieber verwandelt, der auch ohne Licht ganz hell strahlt. Auf der A-Seite gibt es noch einen angejazzten Dntel-Remix von den Vögeln, der sich ebenfalls hören lassen kann. (Preview)

Shlohmo – Vacation (Friends of Friends)

Es kamen viele gute Sachen an der Ecke von Downbeat, Elektronika und R’n’B in diesem Jahr heraus, an Shlohmo mussten sich fast alle messen. Diese melancholisch-verrückten Beats, die auf der einen Seite typisch kalifornische Entspanntheit an den Tag legen aber gleichzeitig auch eine Melancholie feilbieten und diese EP damit eher etwas für die späteren Stunden machen. The Way You Do ist wohl der bekannteste Track, aber die beiden anderen sind die wahren Gewinner: So schön wie auf Rained the Whole Time mit seiner versetzten Gitarre und dem gefilterten Blues-Vibe hat in diesem Jahr kaum jemand geschwooft. Musik, um seine(n) Liebste(n) in den Arm zu nehmen und den Joint zu reichen.

Lapalux – When You’re Gone (Brainfeeder)

Ganz ähnlich im Sound wie Shlohmo in seiner honigmäßigen Langsamkeit, den dicken Bässen, warmen Synth-Pads und verfremdeten Vocals ist diese EP von Lapalux. Wenn auch etwas freundlicher und verspielter in der Umsetzung. Im direkten Vergleich finde ich Moments vielleicht als Einzeltrack sogar noch eine Ecke besser als The Way You Do, aber da möchte ich jetzt auch keine Haare mehr spalten. (Preview)

Softwar – This Time Around (Future Classic)

Neunziger Jahre House lebt und die Australier von Softwar sind nicht scheu, es auch zu zeigen. Zugegeben, die armeschwingenden Piano-Stabs von This Time Around sind schon borderline in Verbindung mit diesen Vocals, die tatsächlich „You got me feeling real good“ lauten. Abgedroschen? Vielleicht. Aber so beschwingt und dreist hat in diesem Jahr sonst kaum jemand einen Sommerhit hinbekommen. Und die anderen Tracks machen mit einem gewissen Metro-Area-Sound das auch schnell wieder wett. So oder so: It’s got me feeling real good! (Preview)

Lauer – Trainmann (Running Back)

Das Debütalbum von Phillip Lauer hat mich überraschenderweise nicht ganz überzeugt, aber diese erste Single war und ist große Klasse. Tensnake darf gleich zweimal als Remixer ran und schiebt als Franceman auf der A-Seite die Discoschaukel an. Besser ist eigentlich nur noch die Flip, auf der er als Tranceman wieder einmal die Melodien kreisen lässt bis auch wirklich der ganzen Tanzfläche schwindlig ist. (Preview)

Sensate Focus – 1.333/5/10

Dass sich Mark Fell, die „aktivere“ Hälfte der Clicks & Cutter von SND, in diesem Jahr mehr in Sachen House herumtreibt, hat er spätestens mit seiner Kollaboration mit DJ Sprinkles unterstrichen. Mit Sensate Focus hat er zudem von Editions Mego ein eigenes Mini-Label für seine Experimente spendiert bekommen, die an die geradlinigeren, früheren SND-Sachen andocken und in der typischen Reduziertheit vielleicht nicht zum Tanzen, aber sicherlich zum erstaunten Kopfnicken taugen. (Preview)

Blond:ish – Lovers in Limbo (Kompakt)

Kompakt und ich, wir haben uns irgendwie auseinandergelebt. Dachte ich. Und dann kommen unter dem Namen Blond’ish zwei Damen, von denen ich noch nie etwas gehört habe und beschwören doch wieder irgendwie die guten alten Zeiten. Die Zeiten, als Kompakt noch gute Tanzmusik machte UND den Crossover zu Pop nicht scheute. Und so gibt es hier drei warme House-Tracks mit der vielleicht am schönsten federnden Basslines des Jahres auf It’s Too Late und sanft eingehauchten Vocal-Hooks. (Preview)

Skudge – Fingers/Vessel (Nonplus)

Noch etwas straightes zum Schluss von Skudge, die auch immer besser werden. Zwei ziemlich treibende Technotracks, wovon Fingers über die Dub-Einschläge punktet und Vessel dann eher über die Claps und einen gewissen Retro-Futurismus (autsch) in den Gehörgang gleitet. Funktioniert eigentlich immer, diese Kombination. (Preview)

 

Compilations/Mixes

Zip – Fabric 67 (Fabric)

Das hätte ich auch nicht gedacht, dass der gute alte Zipster hier noch einmal auftaucht. Nicht, weil ich ihn nicht als DJ schätze, ganz im Gegenteil. Aber irgendwie war Zip doch immer auch etwas berechenbar in seinen Sets. Auch auf diesem Fabric-Mix spannt Franzmann seinen typischen trackigen Soundteppich aus, und nimmt natürlich auch diverse Sachen aus dem erweiterten Perlon-Universum mit auf. Und doch macht mir dieser Mix erstaunlich viel Spaß, weil er sich in der Mitte dann etwas von der anfänglichen Kleinteiligkeit verabschiedet und plötzlich in Retro-House abdriftet. Und genau diese Mischung funktioniert auf die Dauer einer CD dann ziemlich gut und sticht Levon Vincents ebenfalls sehr guten Mix aus dieser Serie aus. (Preview)

Bonobo – Black Sands Remixed (Ninja Tune)

Zwei Jahre nach dem Album nochmal eine Remix-Compilation rauszuhauen, klingt erstmal nach einem Beschiss am Hörer. Doch was sich Ninja Tune hier überlegt hat, ist fett im besten Sinne des Wortes: Eine Doppel-CD mit 23 Tracks ist es am Ende geworden, darauf finden sich Namen wie Floating Points, FaltyDL, Mark Pritchard, Four Tet und Machine Drum. Klar, dass hier nicht nur Gewinner, aber eine durchgängig gute Qualität an Remixen vorhanden ist, die, und das ist das wichtige, den typischen Bonobo-Sound nicht entstellt, sondern um zahlreiche spannende Facetten ergänzt. Und so gibt es hier so ziemlich alles von gediegenem Downbeat bis zum (guten!) Liquid D’n’B und eine Brise Post-Dubstep. Am Ende also doch gut investiertes Geld.

VA – Classic House Grooves: Dope Jams New York City (King Street Sounds)

Nach einem Remix-Album und einem Mix nun noch eine klassische Compilation. Diesmal aus den Tiefer der US-House-Szene, genauer gesagt aus New York. Das ist natürlich eine Geschichte, die keine Compilation in Gänze erzählen könnte, aber Dope James New York City macht einen ziemlich guten Job. Vor allem, weil sie von den Conga-Smashern bis hin zu den 90er-Jahre-Vocal-Hits und einem Schwenker über die Piano-House-Szene fast das gesamte Feld absteckt, ohne dabei cheesy zu wirken – auch wenn House-Musik aus New York immer etwas auf der sonnigeren Seite der Tanzfläche angesiedelt war. Und mit einigen Tracks des Ananda Projects (das hier übrigens mal als Wamdue Project einen Hit hatte) gelingt zum Schluss dann auch die Kurve ins neue Jahrtausend. (Preview)

 

Künstler des Jahres

Dominick Fernow/Vatican Shadow/Prurient

Einer der für mich immer noch faszinierendsten Künstler aller Zeiten ist der schon längst verstorbene Brite Bryn Jones aka Muslimgauze. Auch deshalb hat mich Dominick Fernow in diesem Jahr schwer beeindruckt, denn der Amerikaner ist Bryn Jones in vielerlei Hinsicht sehr ähnlich. Er ist zum einen ein eher verschlossener und zurückhaltender Mensch mit einem schier unglaublichen Output: Ein knappes Dutzend waren es in diesem Jahr allein als Prurient und Vatican Shadow (und vielleicht noch eine gute handvoll als Rainforest Spiritual Enslavement, auch wenn dessen Identität noch nicht bestätigt wurde). Als Prurient ist er schon seit einiger Zeit auf seinem Label Hospital Productions in Sachen Noise unterwegs, zumeist auf extrem limitierten CD-Rs oder gar Kassetten. Auch das war eine Eigenschaft von Muslimgauze, dessen Alben meist nur äußerst limitiert zu haben waren.

Die größte Gemeinsamkeit aber zeigt sich im Sound, den Fernow seinem zweiten großen Projekt Vatican Shadow gewidmet hat: Es ist eine Michung aus Elektronika, Ambient und nahöstlichen Klängen, ein ständiges, nervöses Rauschen und Scheppern inmitten metallener Percussion, übersteuerten Bässen und klaustrophoben Dubschwaden, die ebenso faszinierend wie herausfordernd ist. Die meisten Releases erschienen auch hier auf Hospital Productions, aber für Ornamented Walls haben sich auch die Jungs von Modern Love eine EP eingekauft. Und als wäre das nicht genug, spielt auch Fernow mit einer gewissen politischen Subversität in Covergestaltung und Auswahl der Songnamen.

Muslimgauze ist tot, aber in Vatican Shadow hat sein Sound einen würdigen Erben gefunden. Meine Empfehlung für Einsteiger: Atta’s Apartment Slated For Demolition, das es auch digital gibt und vergleichsweise zugänglich ist oder Kneel Before Religious Icons:

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So. Das war’s, macht’s gut, und auf ein schönes Jahr 2013!

CC-Titelbild: lumirefl/flickr

6 Comments

  1. headphoneasyrider

    ja genau, dankeschön! wegen offensichtlicher geschmacksschnittmenge (bonobo remixe liegen gerade im cd-player) jedes jahr immer wieder toller lesestoff und ausgangspunkt zum weiterdiggen.

  2. sma

    loscil mag ich auch sehr. bisher hatte ich aber eigentlich fast ausschliesslich nur „first narrows“ und „plume“ gehört und mich nicht an die neueren sachen rangetraut, weil mir die beiden so gut gefallen haben. war natürlich ein großer fehler: besonders das „brighton“-album ist wirklich fantastisch. sehr gute sonntagsmusik.

  3. sma

    earth house hold hatte ich wirklich gar nicht auf dem schirm, danke für den tollen tipp. werde ich ab jetzt immer so machen: jahres-end-listen mit 12 monaten verspätung noch mal lesen. ;-)

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