Manchmal frage ich mich wirklich was eigentlich der Sinn von „feiern“ ist. Abgesehen davon dass es ohnehin nur selten wirklich gute Parties gibt, dienen viele einfach nur als Ausrede um sich in Gesellschaft gediegen zu betrinken. Natürlich ist das irrsinnig, da Betrunkenheit in Gesellschaft anderer Leute nicht selten zu Problemen führt, die man vermeiden könnte indem man sich zuhause ins Delirium schickt, und dann einfach ins Bett, den Flur oder die Badewanne fällt. Da alleine trinken aber gesellschaftlich nicht angesehen ist, und sofort als Anzeichen mittelstarken Alkoholismus gilt, schleppt man sich halt zu Freunden oder in den nächstgelegenen Club um auch sein letztes Geld für den (scheinbar) guten Zweck des Amusements auszugeben.
Für all diejenigen, die sich von bewusstseinserweiternden- oder beschränkenden Substanzen distanzieren, dient der Grund zu „feiern“ zumeist um ihrer eigenen Angst zu entfliehen, die sie zuhause umgibt. Das muss nicht zwangsläufig nur für Singles gelten, die ja bekanntlich automatisch zu mordenden Psychopathen werden wenn sie nicht unter Menschen gehen, nein, auch Paare genießen die Zeit unter anderen Menschen, um sich von sich selbst abzulenken und ihre Liebe der Öffentlichkeit zu präsentieren. Hier spielt ein narzisstischer Hintergedanke eine große Rolle, auf den ich demnächst mal zu Sprechen kommen werde.
Aus welchem Grund auch immer man nun „feiern“ geht, es ist lediglich eine Ablenkung, denn wir ehrlich sind – so richtig hilft das niemandem. „Feiern“ ist ein Ausweg, eine Zuflucht, wenn auch nur für einige Stunden. Zumindestens glauben wir das, und in der Tat, Ablenkung scheint zu helfen. Es hilft zudem, sein soziales Image aufzubessern. Denn wer unter Menschen geht ist ’normal‘ und gesund, was wiederum gut für’s Ego ist. Genauer betrachtet weiß aber jeder, dass es kaum eine Lösung für das Problem ist, welches uns zuhause erwartet: Die Erkenntnis, dass wir einsam, elend und dem Tode geweiht sind. (Ja, dieses Zitat von Michel Houellebecq ist reißerisch!).
Michel Houellebecq hat die oben genannten Gedanken ebenfalls aufgegriffen (oder eher: sie haben mich dazu inspiriert) und in seinem typischen Stil eine Analyse zum Begriff der „Feier“ gewagt:
-DIE FEIER-
Das Ziel der Feier ist es, uns vergessen zu machen, dass wir einsam, elend und dem Tode geweiht sind. Anders gesagt, es ist das Ziel der Feier, uns in Tiere zu verwandeln. Deshalb hat der Primitive ein hoch entwickeltes Gespür fürs Feiern. Eine gute Dosis halluzinogener Pflanzen, drei Tamburins, und die Sache geht in Ordnung: ein Nichts amüsiert ihn. Im Gegensatz dazu gerät der durchschnittliche Westeuropäer erst am Ende endloser Rave-Partys, aus denen er taub und mit Drogen voll gepumpt herauskommt, in eine unzulängliche Ekstase: Er hat überhaupt kein Gespür mehr fürs Feiern. […] Er wäre gern ein Lebemann oder würde zumindest gern als ein solcher gelten. Er befindet sich in einer scheußlichen Lage.
WAS HABE ICH MIT DIESEN ARSCHLÖCHERN ZU TUN?
[…]
Vereint, um sich zu amüsieren. Das ist der schlimmste der Fälle. Unter diesen Umständen (Nachtclubs, Volksfeste, Feiern), die sichtlich nichts Amüsantes an sich haben, gibt es nur eine einzige Lösung: anbaggern. Man verlässt sodann die Gattung Feier, um in einen rauen narzisstischen Wettbewerb – mit oder ohne Option Penetration hinüberzuwechseln (Gewöhnlich geht man davon aus, dass der Mann die Penetration braucht, um die gewünschte narzisstische Befriedigung zu erlangen. Er spürt dann etwas, das dem Klappern der Freispiele bei alten Flipperautomaten entspricht. Die Frau begnügt sich zumeist mit der Gewissheit, dass man in sie einzudringen wünscht.). Wenn Sie sich von dieser Art Spielchen abgestoßen fühlen, wenn Sie sich außerstande fühlen, dabei eine gute Figur abzugeben, dann gibt es nur eine Lösung: so schnell wie möglich aufzubrechen.
Vereint, um zu kämpfen (Studentendemos, Umweltschützertreffen, Talkshows über die Banlieue). Die Idee ist a priori genial: Das fröhliche Bindemittel einer gemeinsamen Sache kann tatsächlich einen Gruppeneffekt hervorrufen, ein Zugehörigkeitsgefühl, ja, sogar eine echte kollektive Trunkenheit. Leider folgt die Massenpsychologie unwandelbaren Gesetzen: der Herrschaft der dümmsten und aggressivsten Bestandteile. Man befindet sich also inmitten einer lautstark grölenden, ja gefährlichen Bande. Man ist folglich vor die gleiche Wahl gestellt wie im Nachtclub: aufbrechen, bevor es zu Handgreiflichkeiten kommt, oder anbaggern (in einem hier günstigeren Umfeld: Das Vorhandensein gemeinsamer Überzeugungen, die diversen, vom Ablauf der Protestveranstaltung hervorgerufenen Gefühle haben den narzisstischen Panzer womöglich leicht erschüttert).
Vereint, um zu vögeln (Swingerclubs, private Orgien, bestimmte New-Age-Gruppen). Eine der einfachsten und ältesten Formeln: die Menschheit in dem zu vereinen, was sie in der Tat zutiefst gemeinsam hat. Geschlechtsakte finden statt, selbst wenn der Genuss nicht immer zur Stelle ist. Es ist immerhin etwas, aber auch schon alles.
DIE TRÄNENLOSE FEIER
In Wirklichkeit reicht es aus, Amüsement vorgesehen zu haben, um sicherzugehen, dass man sich langweilt. Ideal wäre es daher, völlig aufs Feiern zu verzichten. Leider ist der Lebemann eine in solchem Maße respektierte Persönlichkeit, dass dieser Verzicht eine starke Minderung des sozialen Images zur Folge hat. Die wenigen folgenden Ratschläge dürften ermöglichen, das Schlimmste zu vermeiden […]
– Sich im Voraus klar machen, dass die Feier zwangsläufig misslingen wird. Sich die Beispiele früherer Misserfolge vor Augen halten. Es geht nicht darum, deswegen eine zynische und blasierte Haltung anzunehmen. Im Gegenteil, das bescheidene und von einem Lächeln begleitete Akzeptieren des allgemeinen Desasters ermöglicht den Erfolg, eine misslungene Feier in einen Augenblick angenehmer Banalität zu verwandeln.
– Stets vorsehen, allein und im Taxi nach Hause zu fahren.
– Vor der Feier: trinken. Alkohol in moderater Dosierung erzeugt eine sozialisierende und euphorisierende Wirkung, die nach wie vor keine wirkliche Konkurrenz hat.
– Während der Feier: trinken, aber die Dosierung verringern (der Cocktail Alkohol plus vorherrschende Erotik verleiten schnell zur Gewalttätigkeit, zum Selbstmord und zum Mord). […] Eine gute Feier ist eine kurze Feier.
– Nach der Feier: anrufen, um sich zu bedanken. Friedlich auf die nächste Feier warten (einen monatlichen Abstand einhalten, der sich in der Ferienzeit auf eine Woche verkürzen kann).
Zum Schluss eine tröstliche Aussicht: Mit zunehmendem Alter nimmt die Verpflichtung zu feiern ab, der Hang zur Einsamkeit nimmt zu. Das wirkliche Leben gewinnt wieder die Oberhand.